Autonome mobile Roboter : Durchfahren statt andocken: Wie ifm electronic seinen Materialfluss beschleunigt
Ifm electronic hat sich auf die Produktion von Sensoren, Steuerungen und Systemen für die industrielle Automatisierung spezialisiert. Das Unternehmen beschäftigt in Tettnang rund 1800 Mitarbeiter, die sich mit der Entwicklung und Herstellung von Produkten wie Positions- und Prozesssensoren sowie Komponenten für Motion Control und Sicherheitstechnologie befassen.
Um Produktions- und Entwicklungsprozesse zu unterstützen, Mitarbeiter zu entlasten und eine effiziente und schlanke Fertigung zu realisieren, setzt das Unternehmen autonome mobile Roboter ein. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Produktionslinien bedarfsgerecht mit Materialien zu versorgen.
Ifm orientiert sich dabei an den Konzepten des Lean Managements, das auch in der Intralogistik zum Einsatz kommt. „Uns ist es wichtig, dass sich unsere Mitarbeiter auf wertschöpfende Prozesse konzentrieren können. Zudem wollten wir das Material an den Produktionslinien reduzieren und eine Just-in-time Bereitstellung sicherstellen. Unsere Intralogistik zu automatisieren war daher der logische Schritt", erklärt Ulrich Beller, Lean Manager und Projektleiter für die Einführung von autonomen mobilen Robotern.
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Ausschlaggebend sei auch gewesen, innerhalb einer dynamischen Produktionslandschaft flexibel agieren zu können. Daher fiel die Wahl auf autonome mobile Roboter, die im Unterschied zu traditionellen fahrerlosen Transportsystemen keine Induktionsschleifen oder Bodenmarkierungen benötigen. Ausgestattet mit diversen Sicherheitsmerkmalen wie Sensoren, Laser-Scannern und Kameras erkennen sie stationäre sowie bewegliche Hindernisse und nehmen entsprechend Bremsmanöver vor oder weichen aus. Im Falle von Modifikationen im Produktionslayout lassen sich die AMR zügig auf neuen Routen in Betrieb nehmen.
Bereits 2018 leitete ifm electronic ihr Projekt zur Automatisierung mit der Inbetriebnahme eines AMR von MiR ein. Dieser Roboter ist in einer Produktionshalle im Einsatz, wo er die Produktionslinien mit notwendigem Material beliefert. Sobald ein Mitarbeiter den Roboter
händisch anfordert, koppelt dieser an ein speziell von ifm entwickeltes Regalsystem an, lädt das angefragte Material auf, transportiert es zur vorprogrammierten Bestimmungsstelle und übergibt es dort an die entsprechende Abgabestation.
Zur Kompensation von Toleranzen beim Andockvorgang hat ifm einen spezifischen optischen Sensor auf dem Roboter installiert, dessen Aufgabe es ist, die korrekte Übergabe des Transportbehälters sicherzustellen. „Ein großer Vorteil der Lösungen von Mobile Industrial Robots war es, dass wir die Roboter durch unsere Sensorik erweitern können. Das war eine wichtige Voraussetzung für den Auf- und Ausbau unseres komplexen automatisierten Intralogistiksystems“, erklärt Beller. Darüber hinaus ist es ifm möglich, die Software zur Kartierung und Steuerung des Ablaufs eigenständig zu konfigurieren. „Wir brauchen für die Programmierung keinen Support von außerhalb, sondern haben Entwicklung, Konstruktion und Bau der Übergabestationen, die Inbetriebnahme sowie die Erweiterung des Systems komplett selbst übernommen“, fügt Beller hinzu.
Ifm entwickelte patentiertes Regalsystem
Nach der erfolgreichen Implementierung des ersten Robotereinsatzes hat sich die ifm dazu entschlossen, eine weitere stark ausgelastete Produktionsstätte mit AMR zu bestücken. Das Unternehmen hat dafür sein Regalsystem weiterentwickelt und ein Durchfahrregal konzipiert. „Unsere Neuentwicklung kombiniert die Behälteraufnahme und -abgabe in einem Prozess. Mit dem Durchfahrregal sind wir doppelt so schnell wie mit der Variante Andocken und können die hohe Taktung und Frequenz der Auftragsanforderung abdecken. Wir haben das System komplett selbst entwickelt und halten dafür auch ein Patent“, erläutert Ulrich Beller.
Die Anforderung neuer Aufträge erfolgt durch die Entnahme eines Behälters aus dem Anlieferpuffer des Durchfahrregals, wobei der Zustand des darunterliegenden ifm OJ-Lichtreflextasters eine Mission zur Anforderung eines neuen Behälters auslöst. Ab diesem Zeitpunkt übernimmt der AMR die Abholung des Auftragsbehälters. Eine speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) prüft fortlaufend den Status der Sensoren an Regalsystemen und Robotern.
Bei Zustandsänderungen wird über WLAN eine Information an die Flottensteuerung gesendet, welche dann ein AMR mit der Ausführung der Mission beauftragt. Hierbei wird sowohl der Ladestatus der Fahrzeuge als auch deren Nähe zum Zielort berücksichtigt.
Konkreter Einblick in die Statistiken
Derzeit stellen sechs mobile Robotereinheiten von MiR sicher, dass in einem Drei-Schicht-Betrieb Materialien für insgesamt 14 Produktionslinien bereitgestellt werden. Die AMR bearbeiten täglich mehr als 1000 Aufträge und legen dabei pro Tag bis zu 30 Kilometer zurück. „Für uns sind die Roboter eine große Entlastung, denn früher mussten wir die schweren Kisten noch selbst durch die Produktion tragen“, sagt Markus Siedenburg, Sachgebietsleiter bei der ifm. „Dank der zentralen Bereitstellung der AMR können wir freigewordene Ressourcen jetzt wertschöpfend einsetzen. Bei Wartungsarbeiten oder ähnlichen Ausfällen der Roboter wird uns erst bewusst, welche Strecken und Auftragsmengen die Roboter jeden Tag bewältigen“, fügt Siedenburg hinzu.
Die automatisierte Intralogistik wurde bereits mit dem Preis „Fabrik des Jahres“ ausgezeichnet. Diese Anerkennung hat das Interesse anderer mittelständischer Betriebe geweckt, welche ebenfalls ihre Intralogistik automatisieren möchten. „Durch die Auszeichnung haben wir viele Anfragen anderer Mittelständler erhalten, die sich unser System genauer anschauen wollten. Daher entwickeln wir gerade ein Konzept für Consulting in der Intralogistik und in Kooperation den Vertrieb der Regalsysteme“, berichtet Ulrich Beller. „Zudem sind wir gerade dabei, in anderen ifm Werken weltweit Roboter zu installieren. Für unser eigenes Werk in Tettnang planen wir aktuell Weiterentwicklungen wie etwa eine Behältererkennung. Wir haben also noch viel vor.“