KI in der Lieferkette : Fünf Prinzipien, um KI in der Lieferkette richtig einzusetzen

Mashup der Weltkarte, Andeutung einer Lieferkette
© jamesteohart - stock.adobe.com

1. KI sollte Menschen unterstützen, nicht ersetzen

Das Wichtigste zuerst: Die Geschwindigkeit der Entwicklungen in dem Bereich ist einfach unglaublich, allein in den letzten 18 Monaten hat sich wieder so viel getan. Deshalb vergessen wir allerdings leicht, was diese Maschinen nicht leisten können. Im Englischen sind es die drei Cs: Context, Collaboration and Conscience. KI-Modelle können keine Bedeutung aus dem Kontext ableiten, der in so vielen Bereichen der Lieferkette von entscheidender Bedeutung ist, sie können auch nicht ihre Köpfe zusammenstecken, um gemeinsam Herausforderungen anzugehen, etwa bei den Themen Nachhaltigkeit oder Menschenrechte. Und – nein – die Technologie hat auch kein eigenes Bewusstsein.

Aus diesem Grund sollte KI Menschen und ihr Wissen immer ergänzen, nicht ersetzen. Denn richtig leistungsfähig ist vor allem die Kombination aus Mensch und Maschine. Diese Überzeugung spiegelt sich auch in einer Umfrage von Workday wider, in der es 93 Prozent der befragten Führungskräfte wichtig ist, den Menschen in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden.

>>> "Es gibt in jedem Unternehmen Prozesse, die man durch Künstliche Intelligenz optimieren kann"

2. Die Kombination von KI, Heuristiken und Optimierung ist entscheidend

KI kann Probleme in großem Maßstab modellieren, um präzisere Empfehlungen zu geben, etwa genauere Bedarfsprognosen oder bessere Vorhersagen zur Liefertreue. Präzise Ergebnisse sind ein Vorteil der Optimierung, denn diese Problemlösungsmethode ermöglicht die beste Nutzung von Rechen-Ressourcen. Das gilt besonders, wenn bestimmte Ziele, wie die Kostenminimierung, gefragt sind. Doch eine Optimierungsaufgabe kann schnell sehr umfangreich werden und dadurch an die Grenzen der Methode stoßen: So kann die Optimierung eines Liefernetzwerks 200 Millionen voneinander abhängige Variablen umfassen, was selbst den schnellsten Algorithmus langsam macht. Stattdessen können Unternehmen auf Heuristiken zurückgreifen, ein Problemlösungsmodell, das eine praktische Lösung oder eine bewährte Praxis verwendet, um eine schnelle und machbare Vorgehensweise zu finden, die für die jeweilige Situation geeignet ist.

Diese verschiedenen Modelle können Geschwindigkeit, Präzision und Einfachheit bieten – allerdings mit Abstrichen. Gleichzeitig ist generative KI auch nicht der richtige Ansatz für die meisten unserer klassischen Lieferketten-Probleme, für die Heuristiken eine unvergleichliche Agilität bieten. Deep Learning hat sehr spezialisierte Anwendungen, die sich perfekt für das „richtige“ Problem eignen, aber für viele Probleme nicht sinnvoll sind, insbesondere angesichts der höheren Komplexität.

>>> Österreich hat nun einen eigenen Indikator für Lieferketten-Engpässe

Eine Verschmelzung von Heuristiken und KI kann bei einem Optimierungsmodell die Stärken der einzelnen Ansätze kreativ kombinieren und so ein Gleichgewicht aus Geschwindigkeit, Präzision und Einfachheit erreichen. Lieferketten-Experten sollten das Steuer nicht aus der Hand geben und immer daran denken, dass die eleganteste Lösung das richtige Modell für das richtige Problem zur richtigen Zeit verwendet. Nicht mehr und nicht weniger.

3. In Kombination mit verschränkter Planung ist KI noch mächtiger

Lieferketten verbinden viele Funktionen innerhalb eines Unternehmens und darüber hinaus, weshalb die Optimierung eines einzelnen Glieds nicht die gesamte Kette optimiert. KI kann zum Beispiel die Genauigkeit von Prognosen erheblich verbessern, aber wir wollen mehr als hocheffiziente Silos, die nicht übergreifend arbeiten.

Was wäre beispielsweise, wenn es nun für jeden einzelnen Prozess beim Autofahren eine verantwortliche Person gäbe? Eine Person, die lenkt. Eine Person, die Gas gibt. Eine Person, die navigiert. Und eine Person, die bremst. Personen, die sich vielleicht gar nicht kennen, Personen, die unterschiedliche Erfahrungswerte haben und vielleicht nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. Das Auto so fortzubewegen wäre auf gut Glück noch möglich, doch ohne die Verschränkung der verschiedenen Prozesse, gelangt es sicher nicht in einem Stück ans Ziel.

Nicht nur eine Autofahrt, sondern auch KI wird stärker in Kombination mit einer Verschränkung. Sie führt dazu, dass durch eine Änderung in einem Glied auch eine entsprechende Reaktion in der restlichen Kette ausgelöst wird. Wir wollen KI, um präzisere, schnellere und einfachere Vorhersagen treffen zu können, und wir brauchen Verschränkung, um Lieferketten für bessere und schnellere Reaktionen miteinander zu verbinden, egal wie die Bedingungen sind. Durch diese Kombination sind Vorhersagen möglich und es kann gleichzeitig die Volatilität aufgefangen werden, die wir aufgrund unerwarteter Lieferkettenstörungen nicht vorhersagen können.

4. KI muss für alle zugänglich sein

Damit KI ihr Potenzial ausschöpfen kann, muss jeder in der Lage sein, sie zu nutzen. Während wir immer Experten wie Data Scientists brauchen werden, um neue Anwendungsmöglichkeiten zu erforschen, müssen auch Lieferkettenexperten die KI selbstständig einsetzen können. Denn die besten Ergebnisse können in der Praxis nur erzielt werden, wenn die Lösung keine technischen Vorkenntnisse voraussetzt. Bestenfalls ist die Anwendung für einen Lieferkettenexperten so konzipiert, dass die Person die Ergebnisse eines Modells verarbeiten kann, ohne zu wissen, wie dieses erstellt wurde.

5. Erklärbarkeit ist entscheidend für die Akzeptanz von KI

Während es für Lieferkettenexperten nicht wichtig ist, wie ein Modell erstellt wurde, ist es jedoch wichtig zu verstehen, wie eine Entscheidung mit dem Modell getroffen wurde. KI-Lösungen werden häufig in einer Blackbox geliefert, die selbst Data Scientists nur schwer entschlüsseln können. Das ist nicht nur schlecht für die Transparenz, sondern auch für die Akzeptanz. Lieferkettenexperten sind letztlich für ihre Prognosen verantwortlich, und wenn sie nicht erklären können, wie eine KI ihnen bei der Erstellung ihrer Prognosen hilft, fällt es ihnen auch schwer, ihr zu vertrauen. Tatsächlich hat die Forschung gezeigt, dass Menschen Fehler, die sie bei ihren Mitmenschen wahrnehmen, eher verzeihen als bei Maschinen. Diese Eigenschaft kann zu einer Abneigung gegenüber Algorithmen führen.

Um diese Abneigung zu verhindern, brauchen wir moderne Techniken, die KI-Modelle verständlich machen. So können beispielsweise Tools wie ein SHAP-Diagramm (SHapley Additive exPlanations) bei der Bedarfsermittlung eingesetzt werden, um zu zeigen, wie sich das Hinzufügen einer Information wie dem Wetter auf die Prognosen auswirkt. Die Entwicklung von nachvollziehbaren KI-Lösungen geht Hand in Hand mit der Demokratisierung und trägt letztlich dazu bei, die Akzeptanz in der gesamten Branche zu verbessern.

Fazit

Künstliche Intelligenz verändert die meisten Branchen, aber vor allem auch unsere. Wichtig ist, dass wir beim Einsatz von KI einen menschenzentrierten Ansatz wählen, der unsere Fähigkeiten bereichert. In Kombination mit unserem etablierten Handwerkszeug kann es uns so gelingen, unsere Lieferketten zu stabilisieren – auch in einer Welt, die geprägt ist von Multi-Krisen.

Martin Bilstein, Kinaxis
Martin Bilstein verantwortet als Regional Vice President die DACH-Region bei Kinaxis. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung im Aufbau und der Leitung von Geschäfts- und Vertriebsorganisationen in kleinen, mittleren und großen Software-Unternehmen – zuletzt bei Syncron, Infor und IBM. - © Kinaxis