Transport : Europas Transportmarkt ist in Schieflage

Close up of the Caucasian attractive male worker writing a document at the van full of carton parcels. Outside.
© VAKSMANV - stock.adobe.com

Aktuell zeigt sich, dass die hohen Energiepreise und die steigenden Material- und Personalkosten vor allem im Güter-Transportmarkt massive Auswirkungen haben, denn Transportdienstleister legen die ohnehin knappen Transportkapazitäten still. Dies führt unweigerlich zu weiteren Ungleichgewichten.

Denn trotz anhaltender Lieferengpässe, dem Mangel an Rohstoffen und fehlenden Zulieferteilen in der Produktion ist der Transportbedarf auf der Straße nach wie vor hoch. Während die Nachfrage weiter steigt, befeuern der Fahrermangel und die Transportengpässe die Preisspirale.

Das Verhältnis von Frachtangeboten zu Laderaumangeboten in Europa ist in einem immensen Ungleichgewicht, das sich im Verlauf des zweiten Quartals deutlich abzeichnet. Das Verhältnis von Frachten zu angebotenem Laderaum in Europa lag im Juni durchschnittlich bei 85:15, wie der aktuelle Transportbarometer von Timocom zeigt.

Sowohl aufgrund der gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise als auch wegen Fahrermangels haben viele Transporteure und Spediteure ihre Kapazitäten reduziert bzw. stillgelegte Transportkapazitäten nicht wieder aktiviert. Das Gesamtangebot an verfügbaren LKW in der Frachtenbörse von Timocom ging im April um 19 Prozent zurück. Im gesamten Quartal waren sieben Prozent weniger Laderaum verfügbar als im ersten. Auch gegenüber dem Vorjahresquartal ist das LKW-Angebot um zehn Prozent gesunken.

© Timocom

Verfügbarkeit wichtiger als Preis

„Wir befinden uns in einem Auftragnehmer-Markt“, beschreibt Gunnar Gburek, Head of Business Affairs bei Timocom, die derzeitige Situation. „Die Bedeutung, kurzfristig Laderaum am Spotmarkt zu bekommen, hat trotz höherer Kosten zugenommen. Alle reden von Preisen, aber hier zeigt sich, dass die Verfügbarkeit von Transportkapazitäten aktuell wichtiger ist als ein günstiges Angebot.“

Etwas Entlastung am Markt könnte der Ende Juni vorgelegte Lösungsvorschlag der EU-Kommission bringen. Der Vorschlag sieht vor, ukrainischen Berufskraftfahrern den Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt zu erleichtern. So sollen geflüchtete ukrainische Fahrer für die Dauer ihres Schutzstatus mit ihrem ukrainischen Führerschein in der EU fahren dürfen, ohne ihn umzuschreiben. Außerdem sollen Berufskraftfahrerqualifikationen aus der Ukraine europaweit anerkannt werden.

In Polen zeichnen sich wieder erste Kapazitätszuwächse ab: Die Nachfrage nach neuen LKW steigt. Laut polnischer Fachmedien planen 70 Prozent der dort ansässigen Transportunternehmen trotz hoher Preise, neue Fahrzeuge zu kaufen. Das Problem ist das geringe Angebot an Neufahrzeugen: Spediteure müssen mehrere Monate bis sogar ein Jahr auf ein neues Gefährt warten.

Mit dem Inkrafttreten des Mobilitätspakets I können viele Transporteure, die noch keine EU-Transportlizenz für Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen erhalten oder beantragt haben, seit dem 21. Mai keine internationalen Transporte innerhalb der Europäischen Union mehr durchführen. Die Folge: Grenzüberschreitende Transporte bis 3,5t von und nach Polen gingen im Juni im Vergleich zum Vormonat um 38 Prozent zurück. Die Frachteingaben in PL nahmen im zweiten Quartal insgesamt um 4 Prozent zu. Ein Grund ist u. a. der Zuwachs des E-Commerce-Geschäfts, auch durch die Verlagerung ukrainischer Unternehmen nach Kriegsbeginn nach Polen (siehe Grafik PL-PL).

Dieser Hintergrund erklärt auch, warum das Transportbarometer für den polnischen Binnenverkehr im Juni 2022 wieder ein durchschnittliches Fracht- und Laderaum-Verhältnis von 70:30 zeigte. „Auf ein Ende des Ungleichgewichts am Transportmarkt werden wir jedoch eine Weile warten müssen“, prognostiziert Gunnar Gburek.

Nachfrage nach Lagerflächen steigt

Die aktuelle Situation in der Logistik hat die Nachfrage nach Lagerflächen in Polen angekurbelt. Zum Beispiel hat der Transport von Weizen aus der Ukraine zusätzlichen Lagerbedarf in Polen erzeugt. Hunderte Transporte sorgten kurzfristig an den Grenzen der beiden Länder vorübergehend für Chaos. Im System von Timocom führte das zu einem kurzen Peak auf der Relation Ukraine – Polen Ende Mai und Anfang Juni dieses Jahres.

Das Angebot an leerstehenden Lagerflächen ist im ersten Quartal 2022 von 3,9 Prozent auf 3,3 Prozent gesunken. Dieser Trend setzt sich im aktuellen Quartal fort und lässt die Mietpreise steigen.