Bahn-Infrastruktur : So ist es um die Digitalisierung des europäischen Schienenverkehrs bestellt

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In verschiedenen europäischen Ländern sind unterschiedliche Zugsicherungssysteme im Einsatz. Dieser Umstand erschwert den grenzüberschreitenden Verkehr, was angesichts eines gemeinsamen europäischen Binnenmarkts eine beträchtliche Hürde für die Bahnen und die Wirtschaft darstellt.

Die Europäische Union will daher den Zugverkehr europaweit standardisieren und liberalisieren. Dabei ist das Zugsicherungssystem ETCS die Voraussetzung für die grenzüberschreitende Implementierung vieler digitaler Zukunftstechnologien, etwa des automatisierten Fahrbetriebs (ATO).

Digitalisierung des europäischen Zugverkehrs nicht auf Schiene

Die Studie „Back on track: Solving the digitization challenge for Europe’s rail sector” von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, zeigt nun, dass es mit dem Ausbau des ETCS nur sehr schleppend vorangeht. 2020 waren nur 14 Prozent aller europäischen Strecken mit ETCS ausgerüstet. Bei diesem Tempo wären 2030 erst ein Viertel aller Schienen in Europa bereit für ETCS. Im Jahr 2040 läge der Ausbau bei 35 Prozent.

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Die Modernisierungsgeschwindigkeit schwankt dabei innerhalb der beteiligten Länder enorm. Während in der Schweiz bereits ein Großteil des Netzes auf das erste ETCS-Ausbaulevel umgestellt worden ist, hat Österreich für 22 Prozent seines Streckennetzes ein ETCS-Upgrade in Auftrag gegeben. Damit liegt das Land im europäischen Vergleich im Mittelfeld.

Laut Informationen der ÖBB sind in absoluten Zahlen rund 300 Kilometer ETCS Level 2 in Betrieb. In drei Umsetzungsphasen baue man das ETCS-Netz auf 3.700 Kilometer ETCS Level 2 aus. Der nächste Umsetzungsschritt für die ETCS Migration sei bis 2026 geplant.

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Das sind die ETCS Level

Level 1 beinhaltet eine kontinuierliche Überwachung der Zugbewegung (d. h. der Bordcomputer überwacht kontinuierlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit und berechnet die Bremskurve bis zum Ende der Fahrbefugnis), während eine nicht kontinuierliche Kommunikation zwischen Zug und Strecke stattfindet.

Streckenseitige Signale sind erforderlich. Die Zugerkennung und die Prüfung der Zugvollständigkeit (d. h. der Zug ist vollständig und wurde nicht versehentlich geteilt) werden von der streckenseitigen Ausrüstung durchgeführt, die nicht in den Anwendungsbereich des ERTMS fällt.

Level 2
umfasst die kontinuierliche Überwachung der Zugbewegung mit ständiger Kommunikation über GSM-R zwischen dem Zug und der streckenseitigen Ausrüstung. Streckenseitige Signale sind in diesem Fall optional, und die Zugortung und Zugvollständigkeitsprüfung wird von der streckenseitigen Ausrüstung außerhalb des ERTMS-Bereichs durchgeführt.

Level 2 umfasst die kontinuierliche Überwachung der Zugbewegung mit ständiger Kommunikation zwischen Zug und Strecke über GSM-R.

Streckenseitige Signale sind in diesem Fall optional, und die Zugortung und Zugvollständigkeitsprüfung wird von der streckenseitigen Ausrüstung durchgeführt, die nicht in den Anwendungsbereich von ERTMS fällt.

Level 3
beinhaltet eine kontinuierliche Zugüberwachung mit ständiger Kommunikation zwischen dem Zug und der Strecke. Der Hauptunterschied zu Level 2 besteht darin, dass Zugortung und -integrität im Rahmen des ERTMS-Systems (European Rail Traffic Management System) verwaltet werden, d. h. es besteht kein Bedarf an streckenseitigen Signalen oder Zugortungssystemen auf der Strecke. Die Zugvollständigkeit wird vom Zug selbst überwacht.

Deutschland hinkt beim Ausbau hinterher

Liegt Österreich bei der Modernisierung im europäischen Mittelfeld, steht der Anteil Deutschlands erst bei vier Prozent. Laut Studie ist ein Grund für den zögerlichen Ausbau das enorme Investitionsvolumen. So könnte die Umrüstung auf ETCS allein in Deutschland bis zu 13 Milliarden Euro kosten – davon acht Milliarden für die Umrüstung der Züge. Übertragen auf andere europäische Länder wie Österreich könnten ähnliche Kosten das wirtschaftliche Aus für viele kleinere Bahnunternehmen bedeuten, sofern sie keine staatlichen Finanzhilfen erhalten.

„Die Modernisierung des europaweiten Bahnverkehrs ist eine der herausforderndsten Aufgaben der kommenden Jahrzehnte. Im Gegensatz zu anderen Verkehrsmitteln werden auf der Schiene noch nicht ausreichend internationale Standards umgesetzt und Technologien können sich an Landesgrenzen teilweise innerhalb weniger Meter ändern“, erläutert Bernd Jung, Partner bei Strategy& Deutschland und Leiter des Bereichs Transport und Logistik in Europa.

„Die Einführung eines grenzüberschreitenden digitalen Signalsystems wie ETCS ist deswegen die Grundvoraussetzung für die Digitalisierung des Bahnverkehrs, gleichzeitig aber auch einer der kompliziertesten Angelegenheiten eines solchen Projekts, weil vielzählige Stakeholder mit oft entgegengesetzten Interessen beteiligt sind. Umso entscheidender ist es, die Interessen zu bündeln und Anreize für alle Stakeholder zu schaffen.“

Die Einführung von ETCS und darauf aufbauenden Technologien würde den europäischen Bahnverkehr laut Studie vor allem langfristig schneller, effizienter und sicherer machen. So wären unter bestimmten Rahmenbedingungen durch die Kombination von ETCS und ATO (Automatic Train Operation, automatisierter Fahrbetrieb, Anm.), Kapazitäts- und Effizienzsteigerungen von zehn bis 20 Prozent möglich, da Züge in dichteren Abständen fahren und Zeitpläne optimiert werden könnten. Gleichzeitig stiege das Sicherheitslevel durch die Modernisierung und Digitalisierung der Zugsteuerung deutlich an.