Herr Staberhofer, Sie haben als Leiter des Logistikums und Obmann des VNL einen guten Ein- und Überblick über aktuelle Herausforderungen für Logistiker. Welche sind das denn – und kann man diese über einen Kamm scheren?
Franz Staberhofer Als erstes ist das eindeutig das Thema Mensch bzw. fehlende Mitarbeiter. Dabei ist es egal, ob wir über Bedarfsträger oder Anbieter sprechen: Es ist ein gemeinsames Über-Thema.
Gibt es bei diesem Thema auch gemeinsame Bestrebungen oder neue Ideen? Meine Beobachtung ist, dass viele Unternehmen kleine Einzelmaßnahmen setzen, aber keinen richtigen Plan haben.
Staberhofer Ja, hier gibt es vor allem Einzelaktivitäten. Die meisten sind, ganz offen gesagt, noch traditionell. Die Muster, der Bedarf und das Verhalten der Menschen haben sich heftig verändert, aber die Muster darauf zu reagieren, nicht wirklich. In der Logistik fehlen operativ viele Menschen, vor allem Lkw-Fahrer. Da gibt es zum Beispiel Initiativen, um schon 17-Jährige den LKW-Schein machen zu lassen – bei einer nicht nicht bemerkbaren Frühreife der Menschen. Das sehe ich als keine gute Vorgehensweise. Ich würde es als risikoreich bezeichnen.
Ist es so ein großer Unterschied, ob Menschen mit 17 oder 18 Jahren LKW fahren?
Staberhofer Wie weit drehen Sie die Zahl nach unten? Wenn ich die Entwicklung der Menschheit sehe, würde ich das eher nach oben drehen. Die Schätzungen in Österreich liegen bei 5.000 bis 7.000 fehlenden LKW-Fahrern. Wieviel kann ich denn wirklich gewinnen, wenn ich die Altersgrenze um ein Jahr senke? Oder wenn ich will, dass mehr Frauen Lkw fahren, obwohl das Umfeld nicht gut passt - wieviel kann ich hier erreichen? Für dieses Problem muss man andere Zugänge finden. Amerika zeigt es uns vor, die Zahlen liegen dort je nach Schätzung zwischen 100.000 und 150.000 fehlenden Fahrern. Auf der amerikanischen Homepage eines Fahrdienstleisters wird etwa zuerst der Fahrer angesprochen - und dann der Kunde, weil der muss inzwischen zwingend kommen. Der Fahrer nicht. Es gibt dort Angebote, dass der Fahrer den LKW aus mehreren Modellen auswählen und individualisieren kann. Die Disponenten werden außerdem dazu angehalten, dass die Fahrer öfter zu Hause sind. Außerdem gibt es eine vorausschauende Planung, es werden Maßnahmen gesetzt, dass der Fahrer etwa nicht vier Stunden auf die Be- oder Entladung warten muss, was ja in Österreich nicht ganz untypisch ist. Und die Bezahlung ist nicht nur gestiegen, sondern explodiert. Das könnte man jetzt noch weiter ausführen, das sind nur einige Beispiele für einen notwendigen neuen Zugang. Auch klar gesagt, wenn man nachhaltig denkt, muss man solche Lösungen anstreben, die teilweise auch längere Routen bedeuten. Und wer nur CO2- Reduktion betrachtet, kümmert sich konsequenterweise nicht um Menschen und wird solche Lösungen nicht wollen.
Das, was Sie erwähnt haben, ist im Grunde „nur“ eine starke Aufwertung des Berufsbildes. Man müsste das Rad wohl nicht neu erfinden, sondern ein bisschen mehr Wertschätzung, ein bisschen mehr Geld bieten.
Staberhofer Wenn Sie das bisschen wegstreichen, stimme ich zu.
Das Thema Fach- bzw. Arbeitskräftemangel ist also bei allen Unternehmen recht sichtbar. Gibt es weitere Themen, die die ganze Branche betreffen?
Staberhofer Das zweite Thema, was alle berührt, ist das der C02-Reduktion. Allerdings nicht unbedingt aus innerlichem Antrieb, sondern ich sehe das eher als dem Folgen eines Narrativs und damit mündet es in viel Aktionismus. Denn in einem Nachhaltigkeitsdreieck zwischen Ökologie, Ökonomie und Mensch war, aus Sicht der Dienstleister, Ökonomie gleichbedeutend mit Ökologie. Da wurde darauf geachtet, weniger zu verbrauchen - das ergibt weniger Ausstoß, also weniger CO2, und damit auch weniger Kosten. Der Faktor Mensch wird dabei nicht berücksichtigt. In Amerika gibt es andere Lösungen, einfach weil sie müssen, da greift die human-centered distribution optimization. Da gibt es etwa die Stellgröße, dass der Fahrer wöchentlich, täglich, wie man es auch einstellt, zuhause ist. Das bedeutet, dass ich dem Menschen methodisch Bedeutung gebe. Das ist aber natürlich für Ökologie und Ökonomie ein Nachteil, denn dann wird die Strecke nicht so restlos optimiert gefahren. Wer Nachhaltigkeit also reduziert, ja degeneriert auf den Begriff CO2-Reduktion, der muss auch sagen ‚der Mensch ist mir völlig egal‘, das wäre immerhin ehrlich. Ergänzend kommt hinzu, dass die Anbieter, die Spediteure, per Definition quasi böse gemacht werden, weil sie ihren Job machen, der eben CO2 ausstößt. Dann stellt MAN vor einigen Jahren öffentlichkeitswirksam acht Wasserstoff-LKW vor - mit vielen Fotos, mit Ministern und zwei Bundeskanzlern. Die stehen jetzt in Garagen. Das nenne ich Aktionismus. Wenn Volta [OW1] nun Elektro-LKW in größerer Menge produziert ist das ein guter Schritt, aber der nun genannte Wunsch, ab 2023 keine Diesel- LKW mehr zu verkaufen, ist illusorisch. Man kann solche Vorschläge als notwendige Vision sehen, aber es gibt einen Nachteil: Es gibt dadurch keine kontinuierliche Verbesserung und keine Verlockung, Geschäftsmodelle und Haltung zu verändern, weil man auf die Rahmenbedingungen für das versprochene Ziel wartet.