Lieferkette : Mit mehr Personal und künstlicher Intelligenz zum Lieferkettengesetz

Lieferkettengesetz, für mehr Sozialstandards!
© hkama - stock.adobe.com

Während es in Österreich um das Thema eher ruhig ist, wird es für einige deutsche Unternehmen ab 2023 zur Realität: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder kurz: Lieferkettengesetz. Schon 2021 haben die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst Leitlinien veröffentlicht, die mithilfe von konkreten Ratschlägen Unternehmen dabei helfen sollen, zu erkennen, ob in einem Abschnitt ihrer Lieferkette Zwangsarbeit zum Einsatz kommt.

Im Februar 2022 hat die EU-Kommission nach drei Verschiebungen einen Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz vorgestellt. Damit sollen Firmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie nicht darauf achten, dass ihre Lieferanten sich an bestimmte Mindeststandards halten. In einem Entwurf heißt es, dass Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro pro Jahr betroffen seien. Für Branchen mit einem hohen Risiko für Verstöße gegen Arbeits- und Umweltstandards, etwa der Bekleidungs-, Schuh-, Lebensmittel- und Chemieindustrie, soll die Grenze bei 250 Beschäftigten liegen.

Frankreich und Deutschland sind nun der EU bereits zuvorgekommen, in Deutschland tritt das Gesetz mit dem sperrigen Titel Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) Anfang 2023 für Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden in Kraft. Ab 2024 sind auch Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern betroffen, danach wird neu evaluiert.

Dabei müssen die betroffenen Unternehmen allerdings nicht nur auf den eigenen Geschäftsbereich achten. Die Sorgfaltspflicht dehnt sich auch auf alle unmittelbaren Zulieferer aus; bei mittelbaren Zulieferern – jene, mit denen keine direkte Geschäftsbeziehung besteht – greift die „anlassbezogene Sorgfaltspflicht“, bei der die Unternehmen bei triftigen Hinweisen auf mögliche Verletzungen von Menschenrechten aktiv werden müssen.

Das EU-weite Lieferkettengesetz ist allerdings nach dem Entwurf vom Februar wesentlich schärfer als das deutsche; darunter sollen der EU-Kommission zufolge rund 13.000 Firmen fallen.

So bereitet sich SSI Schäfer auf das LkSG vor

Das Logistikunternehmen SSI Schäfer ist jedenfalls vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen: Die Gruppe beschäftigt am internationalen Hauptsitz im deutschen Neunkirchen und rund 10.000 Mitarbeitende. Dispo hat bei Annika Keßler, Compliance Specialist bei SSI Schäfer nachgefragt, wie sich das Unternehmen auf das LkSG vorbereitet.

SSI Schäfer hat einen freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht verfasst. War das der erste Schritt für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz?
Annika Keßler
Das Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) war nicht ausschlaggebend für die Veröffentlichung unseres ersten freiwilligen Nachhaltigkeitsberichts. Durch die Veröffentlichung des Nachhaltigkeitsberichts haben wir jedoch einen Grundstein für die weiteren Entwicklungen im Bereich Corporate Social Responsibility und nachhaltige Lieferketten gelegt, wozu auch das LkSG gehört.

Seit wann bereitet sich SSI Schäfer auf dieses Gesetz vor?
Keßler
Unsere Vorbereitungen haben Mitte 2021 begonnen, als das Gesetz verabschiedet wurde.

Brauchte es dafür mehr neue MitarbeiterInnen? Wenn ja – wie viele und wofür konkret?
Keßler
Aktuell ist ein Team aus den Abteilungen Einkauf, Compliance und Group Social Responsibility mit der Umsetzung des LkSG betraut. Der Aufgabenbereich des Einkaufs erweitert sich in jedem Fall. Eventuell werden wir daher den Einkaufsbereich künftig noch personell aufstocken, um den operativen Mehraufwand zu bewältigen.

Gab oder gibt es schon konkrete Veränderungen, um dem Gesetz zu entsprechen?
Keßler
Zunächst haben wir die personellen und organisatorischen Verantwortlichkeiten definiert. Darüber hinaus geht es um die Weiterentwicklung und Anpassung unserer internen Regelwerke und Anforderungen an unsere Lieferanten, die Vorbereitung der verschiedenen Prozesse und die Bereitstellung unseres Hinweisgebersystems auch für unsere Lieferanten und alle in der Lieferkette beschäftigten Personen.

Welche Software oder welche Schnittstellen werden für die Umsetzung verwendet?
Keßler
Wir planen die Einführung einer digitalen Lieferanten-Management-Plattform, die uns erlaubt, effizienter zu arbeiten und Kosten zu sparen. Über eine Schnittstelle damit verbunden sein wird ein umfassendes Risikoanalyse- und Risikomanagement-Tool mit besonderem Fokus auf der Ermittlung menschenrechtlicher Risiken in der Lieferkette.

Annika Keßler ist Compliance Specialist bei SSI Schäfer

Ohne Künstliche Intelligenz keine Lieferkettensorgfalt

Um das Lieferkettengesetz einhalten zu können, braucht es Software, braucht es Daten – und es braucht wohl auch künstliche Intelligenz. Denn um wirkliche Transparenz über Menschenrechts- und Umwelt- bzw. Naturschutz-Kriterien zu erreichen, ist aufwendig. Bisher haben Unternehmen viele entsprechende Daten über Fragebögen evaluiert. Künstliche Intelligenz etwa könnte bereits verfügbare Daten und Informationen – etwa aus Nachhaltigkeitsberichten - automatisiert suchen und erfassen, erst im zweiten Schritt müssen dann händisch die restlichen Informationen aufgenommen werden. Das erklärt etwa Jolene Ernesti, Mit-Gründerin des Start-ups ecotrek, das inzwischen zu Ecovadis gehört, der führenden Ratingagentur für Nachhaltigkeit in der Welt, in einem Podcast mit der FAZ.

Da sich aber die Menge an Nachhaltigkeits-Nachrichten jedes Jahr verdopple, könne man diesen Prozess durch neue Technologien weiter automatisieren, indem etwa KI-Lösungen durch Semantic-Search-Ansätze in Dokumenten tiefergehend nach fehlenden Nachhaltigkeits-Themenfeldern suchen, oder mittels Live-News-Monitoring-Ansätzen die veröffentlichten Nachrichten von Journalisten oder anderen Menschen in die Auswertung mit einbeziehen.

Künstliche Intelligenz verhilft in erster Linie zu mehr Transparenz“, erklärt Henning Hatje, der Gründer der Plattform Lhotse, im Interview mit dem Dispo-Schwestermagazin Industriemagazin. Die Plattform spürt für verschiedenartigste Unternehmen die besten Angebote von Händlern im Netz auf und unterstützt sie damit beim taktischen Einkauf.

„Mit Lhotse Search, einer Komponente unserer KI-Softwarelösung, haben Unternehmen sofortigen Zugriff auf unsere Lieferantenbasis, die aus Hunderttausenden von Lieferanten besteht, sowie auf ihre eigenen historischen Daten. Mit dieser Transparenz können unsere Kunden so viele konforme Lieferanten wie möglich finden“, sagt Hatje. „Gleichzeitig können unsere Kunden mit Hilfe unserer Software die Nachhaltigkeitskennzahlen in unseren Systemen vermerken. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unsere Software unseren Kunden hilft, schneller und nachhaltiger Lieferanten zu finden, und das alles über eine intuitive und benutzerfreundliche Oberfläche.“

Die Wiener KI-Plattform Prewave wiederum will sich zu einer end-to-end Lieferkettenrisiken-Plattform ausbauen; also vom Aufdecken der Lieferkette, hin zum Finden von Risiken und weiterhin auch zum Bearbeiten und Lösen von Lieferkettenproblemen. Dafür hat das junge Unternehmen kürzlich in einer Finanzierungsrunde 11 Millionen Euro eingesammelt. Aktuell sehe Prewave dabei vor allem den DACH-Markt als Kernmarkt. Mit dem neuen Investment werden wir vor allem den restlichen Europäischen Markt forcieren, erfährt dispo auf Anfrage. Ein deutscher Großkunde, der bereits auf Prewave setzt, ist die BMW-Group.

Konkret unterstützt die KI-Plattform Prewave Unternehmen dabei, Lieferkettenrisiken vorherzusagen, zu finden, zu verstehen und zu kategorisieren. Die Plattform deckt eine breite Palette von Risiken bei Zulieferern ab, die beispielsweise Menschenrechte, Nachhaltigkeit oder eben die Einhaltung von Lieferkettengesetzen beinhalten. Risikowarnungen werden direkt an Unternehmen gesendet, die sich mit ihren Lieferanten dann in Verbindung setzen können, um Probleme zu lösen und Störungen zu mindern – etwas, das angesichts der immer strengeren Gesetzgebung für die Lieferkette in ganz Europa nicht mehr wegzudenken ist.

Künstliche Intelligenz kann die Transparenz der Lieferkette erhöhen und gleichzeitig die menschliche Arbeit entlasten.

- © valerybrozhinsky - stock.adobe.com

„Transporteure werden oft übersehen“

Eurolog, der als IT-Dienstleister Verlader und Logistikdienstleister als Kunden hat, hatte bisher nur wenige Anfragen in Sachen Lieferkettengesetz. „Kleinere Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden, die ab 2024 in der Pflicht stehen, scheinen noch interessiert auf die großen Unternehmen zu blicken. Sie wollen natürlich von den Erfahrungen der Vorreiter lernen“, heißt es auf dispo-Anfrage.

Generell stelle sich die Frage, in welchem Geschäftsbereich und in welchem Prozessschritt die Compliance-Prüfung vorgenommen werden soll. Für Eurologs großen Kunden – also solche mit mehr als 3000 Mitarbeitenden - könne man die für die Einhaltung des Lieferkettengesetzes relevanten Daten in den Workflow ihres Beschaffungs- oder Transportmanagement-Systems integrieren. Die Compliance-Daten der Lieferanten einer Supply Chain werden von speziellen Anbietern erhoben.

„Auf unserer Data as a Service (DaaS)-Plattform werden diese dann mit dem jeweils ausgewählten Lieferanten oder Transportdienstleister gematcht. Das passiert in der Regel völlig automatisch. Die Eurolog-Systeme würden einen Alert auslösen, sobald ein Lieferant oder ein Dienstleister eingesetzt wird, der seitens der Compliance kein ‚grünes Licht‘ hätte. Oft werden bei den Diskussionen des Lieferkettengesetzes gerne die Transporteure übersehen. Natürlich können auch in Lagern, in Redereien oder in der Zustellung Menschenrechte oder eine faire Bezahlung verletzt werden. Die Compliance-Prüfung an das Transportmanagement von Eurolog zu koppeln, macht deshalb viel Sinn. So sehen das sicherlich auch unsere Kunden“, so Eurolog im Gespräch mit Dispo.

VDMA warnt vor "unkalkulierbaren Folgen"

Laut dem VDMA wird die Handlungsfreiheit des industriellen Mittelstands, der vom Export lebt, durch die Lieferkettenregulierungen aufs Spiel gesetzt. "Unsere Firmen sollen unter anderem auch dafür verantwortlich sein, dass rund um den Globus die europäischen Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden - sonst werden sie bestraft. Das ist völlig unrealistisch. Während die EU-Staaten aus gutem Grund ihre Standards jetzt lockern, wenn sie in der Welt Gas einkaufen, sollen die Betriebe umso mehr in Haftung genommen werden. Das kann gerade für eine vom Export lebende Nation wie Deutschland aber auch Europa insgesamt nicht gutgehen. Hier wird die Handlungsfähigkeit des industriellen Mittelstands aufs Spiel gesetzt", warnt VDMA-Präsident Karl Haeusgen. Diese Sorgen und Kritik hat der Verband jetzt auch in einem Brief an Wirtschaftsminister Robert Habeck und weitere Ministerien klar zum Ausdruck gebracht.

Konkret kritisiert der VDMA am geplanten EU-Lieferkettengesetz folgende Punkte:


Dass neben den Menschenrechten auch die Verletzung von Umwelt- und Klimastandards, Arbeitsrichtlinien sowie Good Governance-Regeln auf dem Rücken der Betriebe sanktioniert werden sollen, statt dass Staaten dafür zur Verantwortung gezogen werden.

Dass das Gesetz nicht nur die erste Stufe der Lieferkette umfasst, sondern alle Stufen auch aller Tochtergesellschaften und sogar für die Kunden gehaftet werden soll.

Das Fehlen einer “White List“ von Ländern außerhalb der EU, mit denen Unternehmen ohne aufwändige Prüfung weiter Handel treiben können.

Dass das Gesetz bereits ab einer Schwelle von 500 Mitarbeitenden greifen soll.

Dass Unternehmen und UnternehmerInnen in die zivilrechtliche Haftung genommen werden können, ohne Einfluss auf die zugrunde liegenden Sachverhalte zu haben.