Supply Chain Management : Resiliente Lieferketten durch Daten - Strategien für die Logistik der Zukunft

Mashup der Weltkarte, Andeutung einer Lieferkette
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Strukturelle Veränderungen wie Digitalisierung, Dekarbonisierung und der Fokus auf regionale Sicherheit erhöhen den Bedarf an importierten Rohstoffen. Gleichzeitig zeigen globale Krisen wie etwa die Pandemie, der Halbleitermangel oder der Ukraine-Krieg die Anfälligkeit von Lieferketten, insbesondere in Deutschland und Europa.

Ein aktueller Beitrag im Wirtschaftsdienst von Mathilde Bossut (Frankfurt School of Finance & Management), Christian Diem (Universität Oxford), Dmitry Ivanov (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin), Peter Klimek (ASCII), Anton Pichler (WU Wien), Johannes Stangl und Stefan Thurner (beide Complexity Science Hub Wien) erklärt, warum widerstandsfähige Lieferketten tiefgreifende politische Maßnahmen und ein besseres Verständnis der globalen Abhängigkeiten erfordern. Sie zeigen anhand neuer Forschungsergebnisse, wie vorhandene Daten genutzt werden können, um Lieferketten effizienter und widerstandsfähiger zu machen, und welche Art von neuen Daten erhoben werden sollten.

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Lieferketten: Rückgrat mit Risiko

Der internationale Handel macht heute laut Informationen der Weltbank fast zwei Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Der globale Handel hat zwar dem lokal nachlassenden Wirtschaftswachstum der europäischen Volkswirtschaften entgegengewirkt, aber auch die Abhängigkeiten von Handelspartnern gesteigert. Vor allem Deutschland hat den internationalen Handel konsequent vorangetrieben, um die eigene Wirtschaft zu stärken. Als größter europäischer Handelspartner hat sich Deutschland als eine der offensten Volkswirtschaften positioniert und ist damit besonders betroffen von internationalen Entwicklungen. Branchen wie Fahrzeugbau, Elektrotechnik und Chemieproduktion sind stark auf importierte Vorprodukte angewiesen.

Viele dieser Produkte stammen dabei häufig nur von einer handvoll Exporteuren in Drittländern und werden über wenige zentrale Handelsrouten transportiert. Sie sind deshalb besonders anfällig für geopolitische Spannungen, bewaffnete Konflikte, protektionistische Regulierungen und Naturkatastrophen, die zu Preisschwankungen und Lieferengpässen führen können.

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Tatsächlich haben laut Informationen der Europäischen Investitionsbank bereits 46 Prozent der EU-Unternehmen erhebliche Herausforderungen durch Störungen in der Logistik, den Zugang zu Rohstoffen und wichtigen Komponenten wie Halbleitern erlebt, können sich aber nicht schnell genug an die sich verändernden Bedingungen anpassen. Einerseits sind mehr als die Hälfte der großen Unternehmen in der EU auf speziell für sie angefertigte Vorprodukte angewiesen, was ihre Fähigkeit zur Diversifikation erschwert. Andererseits könnten importierende Unternehmen Schwierigkeiten haben, Expertise und Kapazitäten in anderen Regionen zu finden. Zwei Drittel der Unternehmen, die hauptsächlich auf Nicht-EU-Importe angewiesen sind, berichten, dass es schwierig wäre, diese durch Inputs aus der EU zu ersetzen.

Vier Hebel für resilientere Lieferketten

Um dem entgegenzuwirken, schlagen die Autoren vier konkrete Handlungsfelder vor, die allerdings auf einer Verbesserung der europäischen Datenbasis für Lieferketten beruhen.

Robustheit: Lieferketten müssen so gestaltet werden, dass sie trotz Störungen funktionsfähig bleiben. Klassische Instrumente wie Sicherheitsbestände, Backup-Lieferanten und alternative Routen sind hier essenziell – auch wenn sie kurzfristig teurer erscheinen.

Agilität: Unternehmen müssen ihre Logistikstrukturen flexibel halten, etwa durch skalierbare Lagerkapazitäten oder modulares Routing. Notfallpläne und simulierte Szenarien helfen, im Ernstfall schnell umzuschalten.

Sichtbarkeit: Der entscheidende Hebel. Eine durchgehende Datenverfügbarkeit entlang der Lieferkette – idealerweise in Echtzeit – erlaubt es, Engpässe frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Hier kommt der Einsatz digitaler Werkzeuge ins Spiel.

Lernfähigkeit: Resilienz ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Unternehmen sollten Lessons Learned aus vergangenen Störungen systematisch aufbereiten und in die laufende Planung integrieren.

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Daten als Gamechanger – aber nur bei Nutzung

Seit 1. Januar 2025 gilt in Deutschland die Pflicht zur elektronischen Rechnung bei Inlandsgeschäften. Was auf den ersten Blick nach Bürokratie klingt, könnte sich als Schlüssel zur digitalen Lieferkettentransparenz entpuppen. Denn E-Rechnungen liefern strukturierte, maschinenlesbare Daten in großer Menge – eine wertvolle Quelle für Supply Chain Analytics.

Doch der Nutzen steht und fällt mit der Fähigkeit, diese Daten auch auszuwerten und nutzbar zu machen. Dazu braucht es technische Infrastrukturen, klare rechtliche Rahmenbedingungen und – nicht zuletzt – den politischen Willen, solche Daten auch für wirtschaftliche Resilienz einzusetzen.

Datengestützte Lieferkette: Best Practice aus Österreich

Die Forschenden heben dabei ein Beispiel aus Österreich hervor. Hier haben Händler, Produzenten und das Landwirtschaftsministerium ein Echtzeitmonitoring für die Lebensmittelversorgung aufgebaut. Diese sektorübergreifende Partnerschaft sorgt für Transparenz entlang der gesamten Versorgungskette und ermöglicht frühzeitige Interventionen bei Engpässen.

Für Logistikunternehmen in Deutschland kann das ein Vorbild sein – nicht nur im Lebensmittelbereich, sondern auch in Industrie und Handel. Der Aufbau von Sektorallianzen und gemeinsamen Datenpools könnte zur neuen Best Practice werden.

Empfehlung: Stresstest für die eigene Lieferkette

Die Autor:innen plädieren außerdem für regelmäßige Stresstests auf Unternehmensebene. Diese sollen helfen, Schwachstellen zu identifizieren und mögliche Notfallmaßnahmen im Voraus zu planen. Für Logistikdienstleister heißt das: Sich nicht nur als Dienstleister, sondern auch als strategischer Partner mit Systemrelevanz zu verstehen – und diese Rolle aktiv einzufordern.

Die wichtigste Botschaft des Beitrags: Widerstandsfähigkeit entsteht nicht durch Rückzug aus globalen Märkten, sondern durch intelligentes Management – und das funktioniert nur datenbasiert. Für die Logistikbranche heißt das, sich vom reaktiven Troubleshooter zum proaktiven Risikomanager zu wandeln.