Gastkommentar : Warum das Europäische Lieferkettengesetz kein Grund zur Panik ist

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Anfang Juni verabschiedete das EU-Parlament mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), einen bedeutenden Schritt hin zu einem umfassenden Europäischen Lieferkettengesetz. Nach Abschluss der sogenannten Trilog-Verhandlungen, in denen das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission eine gemeinsame Position erarbeiten, muss das entstandene Gesetz innerhalb einer Übergangsfrist von fünf Jahren von allen EU-Mitgliedsländern in nationales Recht überführt werden.

Der genaue Umfang und die spezifische Ausgestaltung des Gesetzes sind zwar bisher noch nicht final definiert. Ich gehe jedoch fest davon aus, dass unter anderem das bereits 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) weiter verschärft wird. Es könnte künftig auch kleinere Unternehmen dazu verpflichten, ihre gesamten Lieferketten auf potenzielle Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße zu überwachen. Zusätzlich wird von den Organisationen gefordert, ihre Geschäftsmodelle so anpassen, dass sie aktiv zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen, das Pariser Klimaabkommen unterstützen und bis 2050 klimaneutral operieren.

Der Schlüssel zur Umsetzung der mit dem EU-Lieferkettengesetz verbundenen Regularien und Berichtspflichten liegt in der Digitalisierung der Beschaffungsprozesse. Hinzu kommt die Notwendigkeit robuster Due-Diligence- und Reporting-Prozesse sowie eine möglichst automatisierte Überprüfung und Anpassung von Neu- und Bestandsverträgen mit Lieferanten. Doch der wohl wichtigste Punkt ist die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern und die Implementierung von Risikomanagement- und Feedbackprozessen – und genau hier haben viele Unternehmen starken Nachholbedarf. Derzeit dürfen viele Lieferanten aus vertraglichen Gründen keine Informationen über die Zusammenarbeit mit Sub-Lieferanten liefern. Hier gilt es darauf zu achten, dass Bestandsverträge geprüft werden und Neuverträge bereits die entsprechenden Vereinbarungen enthalten.

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Die genannten Beispiele zeigen: Der Aufwand zur Umsetzung eines EU-Lieferkettengesetzes ist nicht zu unterschätzen. Ohne Modernisierung des Einkaufs und umfassende IT-Unterstützung ist der geforderte hohe Grad an Transparenz und Prozesssicherheit nicht realisierbar. Doch es besteht kein Grund zur Panik, denn die Übergangsphase gibt Organisationen genügend Zeit, sich auf die kommenden Regelungen vorzubereiten. Sie sollten jedoch zügig damit starten, ihre Beschaffungsprozesse zu analysieren und eine gründliche Bestandsaufnahme durchzuführen – und erst dann die nächsten Schritte zu gehen. Denn nur wenn wirklich klar ist wo Lücken bestehen, können Einkaufsorganisationen einen sinnvollen Anforderungskatalog für die Evaluierung der passenden Software- und Datenanbieter erstellen. Da die Einkaufsprozesse selbst bei Unternehmen gleicher Branchen sehr unterschiedlich sind, sollten Entscheider klare Business-Cases definieren und deren Umsetzung durch die jeweiligen Einkaufslösungen strukturiert zu bewerten. Wovon ich dringend abrate, ist die Anforderung reiner Test-Logins. Diese bringen den Einkauf meist keinen Schritt weiter, denn sie ermöglichen allenfalls eine Bewertung der grafischen Benutzeroberfläche – die integrierten Funktionalitäten zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes im eigenen Hause lassen sich damit jedoch nicht zuverlässig prüfen.

Mein Fazit: Das Europäische Lieferkettengesetz ist kein Grund zur Panik. Es ist vielmehr ein Aufruf an Unternehmen, ihre Verantwortung in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten ernst zu nehmen. Zugleich ist es eine Gelegenheit, die Effizienz und Robustheit der eigenen Einkaufsprozesse zu verbessern, anders mit Problemen in Lieferketten umzugehen und gleichzeitig das Vertrauen von Kunden, Partnern und Stakeholdern zu stärken. Außerdem liegt der Schwerpunkt des EU-Lieferkettengesetzes eher auf Prävention und nicht auf Bestrafung – das sollten Einkaufsentscheider und Kritiker stets im Hinterkopf behalten.

Jan Hendrik Sohn ist Vice President DACH und CEE bei Ivalua

Jan Hendrik Sohn, Vice President Ivalua
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