Interview : FTS: „Der Markt boomt“
Herr Schulz, Sie haben 2020 in einem Interview gesagt, dass es „massive Entwicklungen“ im Bereich der Fahrerlosen Transportsysteme (FTS) gibt. Ist das bis heute so?
Ja, diese Entwicklungen gibt es nach wie vor. Das liegt daran, dass sich die Produktionswelt verändert. Am Forschungscampus der ARENA2036 reden wir z. B. von der „Fertigung ohne Band und Takt“, also nicht mehr von einer Fließfertigung, sondern von der Matrix-Produktion, das heißt einer Veränderung der starr verketteten Produktionssysteme hin zu flexiblen Systemen. Auf Anforderungen wie die Zunahme der Produktindividualisierung und damit hohe Varianz, sinkende Losgrößen und immer kürzer werdende Produktlebenszyklen kann man mit flexiblen Systemen reagieren ‑ und das sind unter anderem Fahrerlose Transportsysteme. Also, um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Der Markt boomt, es gibt viele Hersteller und viele Startups, die sich damit beschäftigen, und der Markt wird weiter nachgefragt.
In welchen Branchen werden FTS vorwiegend eingesetzt?
Sie finden sie in der metallverarbeitenden Industrie, in der chemischen Industrie, in der Intralogistik, sie finden sie aber auch im Bereich der Medizin und Krankenpflege. Dort haben sie weiterführende Anforderungen, nämlich in der Kommunikation mit dem Menschen. Aber auch und vor allem für einfache Transportaufgaben, die bisher der Mensch übernommen hat, werden FTS eingesetzt, um menschliche Ressourcen für höherwertige Aufgaben nutzen zu können. Es gibt auch im Outdoor-Bereich viele Fälle. In einem Containerhafen sehen Sie viele Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) Container transportieren.
Können FTS zwischen Objekten und Personen unterscheiden?
Da gibt es noch großen Forschungsbedarf und viele Herausforderungen, damit FTF auch im gemischten Betrieb zwischen Mensch und Maschine zuverlässig funktionieren. Hier geht es vor allem um das Thema Sicherheit. Viele Systeme, die im Gemischtbetrieb eingesetzt werden, sind nach wie vor spurgebunden. Die flächenbeweglichen und frei navigierende Systeme stellen deutlich höhere Anforderungen an die Sicherheit in Kombination mit dem Menschen. Hier gilt es eine sichere Mensch-Objekt-Erkennung zu realisieren. Denn eins ist klar, die relevanten Einsatzfelder sind vor allem die, in denen der Mensch zukünftig mit dem FTF zusammenarbeitet.
Welche Fahrerlosen Transportsysteme lassen sich unterscheiden?
Das fängt mit einfachen spurgebundenen Systemen an. Die meisten funktionieren dabei über eine optische Spurführung. Sie sind einfach, kostengünstig, sehr robust und hoch verfügbar, deswegen findet man diese Systeme nach wie vor noch, obwohl sie nicht dieselbe Flexibilität haben wie FTF, die beispielsweise über Sensoren ihre Umgebung abtasten und frei navigieren können. Dazu braucht man natürlich auch Ortungssysteme. GPS funktioniert in der Halle nicht, das heißt ich brauche eine Indoor-Navigation, 5G ist da ein Enabler. Die Lokalisierung und Positionierung ist dabei in der Produktion natürlich sehr wichtig. Heutige Indoor-Positionssysteme mit Ultra-wideband erreichen eine Genauigkeit von ca. 10-15 Zentimetern ‑ das ist meistens noch nicht ausreichend. Das heißt, ich brauche wieder zusätzliche Sensorik an den einzelnen Übergabestationen, um mich genau zu positionieren. Da sind noch viele Herausforderungen zu bewältigen, aber die Anforderungen sind da und es gibt viel Bewegung in diese Richtung. Unterscheiden lassen sich also spurgebundene und frei fahrende fahrerlose Transportfahrzeuge. Omnidirektionale Fahrzeuge die in der Fläche fahren und sich in ihrer Orientierung verändern können, werden für Logistikanwendungen immer interessanter, ansonsten geht es in den meisten Fällen um den Transport, also das Ersetzen der klassischen Fördertechniksysteme. Aber eben auch der Einsatz von FTS für das Tragen des Werkstücks in der Montage oder in der Fertigung ist ein wichtiger Aspekt. Im Bereich des Lagers gibt es noch viel zu entwickeln, hier geht es aber eher schon in Richtung autonomer mobiler Roboter, der die Aufgaben eines Menschen übernimmt – also er greift etwas oder lagert etwas in einen Warenkorb, er übernimmt also Komissioniertätigkeiten.