Nachhaltigkeit : Liefergrün-CEO Sauer: „Das System der CO2-freien Zustellung funktioniert“
Liefergrün ist Anfang November in Wien gestartet. Erfüllen sich Ihre Erwartungen oder ist es noch zu früh, um das abzuschätzen?
Sascha Sauer Ich würde sagen das System der CO2-freien Zustellung funktioniert. Wir haben viel Kundenfeedback bekommen und entwickeln unser Produkt stetig weiter. Auch in den Wintermonaten hat alles wunderbar funktioniert, wir hatten keine Tourenabbrüche weil der Akku leer war, es gab auch keine Probleme mit den E-Bikes.
Welche Erwartungen haben Sie an die Geschäftsentwicklung?
Sascha Sauer Wir wollen wachsen und uns hier neben den Großen als Paketdienst etablieren. Liefergrüns Mission ist es, den nachhaltigen Versand in Österreich zum Standard zu machen. Auf der anderen Seite sind wir erst einige Monate hier und schauen jetzt erstmal, dass wir uns in Wien ausbreiten. Wir liefern bisher in 19 Bezirke, wollen aber natürlich in allen Bezirken Wiens und im Umland zustellen und in andere Landeshauptstädte gehen. Das ist auch das nächste Ziel: Die Infrastruktur dafür nachhaltig auszubauen.
Der Plan war, schon im Jänner in anderen Landeshauptstädten zuzustellen. Wo gab es hier Probleme?
Sascha Sauer Wir wollten natürlich zügiger starten. Es ist aber doch ein Thema, dass unsere Bike-Partner nicht so schnell hinterherkommen, ihre Infrastruktur aufzubauen oder Fahrzeuge zu bekommen. Vor allem bei der Infrastruktur hakt es teilweise: Man braucht Netzbetreiber, die Strom zur Verfügung stellen, um Ladeinfrastruktur aufzubauen. Das braucht einfach länger Zeit in Österreich. Wir wollen aber auf jeden Fall von Wien aus Richtung Westen gehen. St. Pölten, Linz und Salzburg werden die nächsten Städte sein, in denen wir zustellen wollen. Aktuell konzentrieren wir uns aber auf Wien. Wir müssen außerdem noch Lösungen für die Mittelstrecke finden, die wir auch CO2-frei gestalten wollen. Hier haben wir seit der letzten Finanzierungsrunde mit DB Schenker schon einen Partner, der mit uns an dem Thema arbeiten will, der auch Fahrzeuge in diesem Bereich haben wird. Es ist aber noch nicht ganz klar, zu welchem Zeitpunkt die in Österreich verfügbar sind. Wir sprechen aber nicht von Monaten oder Jahren, es ist schon absehbar.
Gibt es ein Ziel, wie viele Haushalte Liefergrün erreichen will?
Sascha Sauer Mit unseren Kunden wollen wir demnächst 50 Prozent der Haushalte in Österreich erreichen. Das ist unser Ziel. Das sind zusammengerechnet die Landeshauptstädte, die wir erreichen können inklusive Vororte. Aktuell sind es sechs Städte, die diese 50 Prozent ergeben.
"Wir müssen noch Lösungen für die Mittelstrecke finden, die wir auch CO2-frei gestalten wollen"Liefergrün-CEO Sascha Sauer
Ist auch die Schiene eine Option für Liefergrün?
Sascha Sauer Auf jeden Fall ist das ein Thema, das wir uns anschauen wollen, dafür sind wir auch mit Rail Cargo im Austausch. In Deutschland und Österreich ist das im Gegensatz zur Schweiz eher schwierig, hier wird der Güterverkehr depriorisiert gegenüber dem Personenverkehr. Während andere Paketdienste in Österreich CO2-neutral sind und damit werben, wollen wir zeigen, dass eine CO2-freie Zustellung möglich ist - dass man für einen großen E-Commerce Player, wie zum Beispiel H&M, ohne Nachteil und CO2-Ausstoß zustellen kann.
Liefergrün hat aktuell eine Halle im Norden von Wien. Wird die vorerst ausreichen?
Sascha Sauer Wir planen noch eine zusätzliche Halle, um sie als Zustellbasis für den nördlichen Bereich und die nördlich anliegenden Vororte zu nutzen. Denn natürlich sind Themen wie etwa Reichweiten solche, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Wir wollen Strecken möglichst kurz halten. Aktuell ist einer der Bezirke, in den wir nicht zustellen, der 23. Bezirk. Ich müsste sonst immer hier aus dem Norden in den Süden. Das versuchen wir gerade noch so ein bisschen zu umgehen.
Ihr seid mit E-Lastenrädern und E-Autos unterwegs und setzt auch auf Microhubs. Wie funktioniert euer Konzept genau?
Sascha Sauer Wir sortieren hier in unserer Zustellbasis Touren und unterteilen sie teilweise auch, sodass es während der Tour noch eine Zwischenladung gibt. Die findet aber dann nicht hier statt, sondern meist nachträglich in inneren Bezirken eben in den Microhubs.
Ihr bezeichnet euch als Green Tech Startup. Warum?
Sascha Sauer Technik und Technologie sind bei uns sehr wichtig. Das sieht man schon an der Mitarbeiteranzahl: Wir haben viele Tech-Mitarbeiter, zwar nicht in Österreich, aber bei unserer Mutterfirma. Wir entwickeln komplett selbst, um diese Punkte, die für Elektromobilität notwendig sind - Reichweiten, Zwischenladungen und so weiter – in die Tourenplanung mit einzubeziehen. Dafür gibt es keine Standardlösungen, deshalb entwickeln wir selbst: Von der Touren-App über die Dispo hin zur Planung: Alles wird im Prinzip selber gemacht.
Euer erster Großkunde war H&M. Wie einfach oder schwierig ist die Kundensuche unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit?
Sascha Sauer Wir sehen, dass es ein Thema ist, das den Handel interessiert – und vor allem auch Empfänger interessiert. Ich glaube unsere Gesellschaft ist schon so weit, dass sie klar sagen, sie wollen keine CO2-neutrale Zustellung, was eben eine Kompensation mit sich zieht, sondern eine wirklich CO2-freie Zustellung. Wir merken schon dass das Interesse sehr groß ist. Übrigens war unser erster Großkunde die gesamte H&M-Gruppe, und wir sind auch in Gesprächen mit anderen großen Unternehmen aus den Top Ten. Es gibt aber auch kleinere Unternehmen, die uns ansprechen.
Was sind denn konkrete Ziele für die nächsten Monate?
Sascha Sauer Wir wollen nachhaltig wachsen. Das heißt wir sagen nicht, wir müssen zu einem konkreten Termin dieses und jenes erreicht haben. Das beginnt bei unserer Infrastruktur, zieht sich über unsere Autos und Fahrräder und auch über unser Personalwachstum. Und auch unser Kundenstock soll nachhaltig wachsen, damit wir uns nicht zu sehr unter Druck setzen. Wir haben bereits weitere Kunden dieser Größe mit einem ähnlichen Sendungsvolumen wie der H&M-Gruppe in der Pipeline, um uns als großen Paketplayer in den Markt zu bringen.
Wir haben im Vorgespräch das Thema Diversität angeschnitten. Wie divers ist denn Liefergrün?
Sascha Sauer Die Logistikbranche ist eine sehr männerdominierende Plattform. Wir wollen versuchen so attraktiv zu sein, um auch Frauen in die Logistik zu holen. Das schaffen wir auch, gerade das Fahrerthema scheint sehr attraktiv zu sein: Hier bewerben sich immer mehr Frauen für Fahrpositionen. Ich finde es wichtig, dass man das Thema permanent versucht, miteinzubringen. Nur so kann man etwas am Status Quo ändern.
Der Fahrermangel ist in den letzten zwei Jahren ein großes Thema geworden. Wie schwierig ist es grundsätzlich für Liefergrün, Fahrer und Fahrerinnen zu finden?
Sascha Sauer Das ist auf jeden Fall ein Thema. Wir haben jetzt noch nicht den großen Scope, wir suchen nicht wie ein anderer Player Tausende von Mitarbeitern. Deswegen geht das noch. Aber es ist auf jeden Fall nicht leicht.