Co2-Reduktion oder -Kompensation : Was ist der sinnvolle Weg zur Dekarbonisierung des Güterverkehrs?
Die Europäische Kommission hat erst kürzlich wieder umfassende Maßnahmen vorgeschlagen, um den Güterverkehr in der gesamten EU nachhaltiger zu gestalten. In Verbindung mit der zunehmenden Sorge der Öffentlichkeit über den Klimanotstand bedeutet dies, dass die Dekarbonisierung der Logistik höchste Priorität hat. Akteure, die langfristig am Markt Bestand haben wollen, müssen spätestens jetzt sinnvolle Maßnahmen implementieren, um ihre Prozesse möglichst klimafreundlich zu gestalten.
Um das aber tun zu können, brauchen Unternehmen zunächst Kenntnis darüber, wie viele Treibhausgasemissionen sie entlang der gesamten Produktionskette ausstoßen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Viele Branchenvertreter sind zwar dabei, Systeme zu integrieren, die die Emissionen aus der eigenen Produktion (Scope-1) sowie aus der zugekauften Energie (Scope-2) genau misst. Eine deutlich größere Herausforderung ist allerdings das Messen und Bilanzieren von indirekten Emissionen aus beispielsweise vor- oder nachgelagerten Transportwegen (Scope-3).
Dies führt dazu, dass die Genauigkeit der Emissionsberechnungen in der Logistikbranche durchwachsen ist. Einige Unternehmen versuchen, ihre eigenen Berechnungen anzustellen, während andere auf die Standard-Durchschnittswerte der Branche zurückgreifen. Dies kann selbst bei Verwendung der neuen ISO 14083 und im eher einfachen Fall von Komplettladungen zu Unterschieden von bis zu 55 Prozent bei völlig gleichen Lkw-Ladungen führen.
Der Boom der Kompensation – eine einfache Lösung?
Die Kombination aus Unwissen und Komplexität hat den Appetit auf „schnelle Lösungen“ geweckt. Und die CO2-Kompensation – die Investition in eine Aktivität, welche die CO2-Emissionen ausgleicht – ist zu einem Boom innerhalb von Nachhaltigkeitskonzepten geworden.
Eine Vielzahl von Unternehmen bietet inzwischen Kompensationsmöglichkeiten an. Beliebte Optionen: Das Pflanzen von Bäumen oder der Kauf von Regenwaldgebieten, um sie vor der Abholzung zu schützen. So weit, so gut. Aber reicht es wirklich aus, einen Baum zu pflanzen, der erst durchschnittlich 20 Jahre wachsen muss, bevor er beginnt, Treibhausgasemissionen auszugleichen?
Die kurze Antwort lautet: nein. Wie wir wissen, besteht heute Handlungsbedarf.
Lesen Sie auch: Franz Staberhofer: "Nachhaltigkeit in der Logistik nicht auf CO2-Reduktion degenerieren"
Trotzdem sind diese Kompensationsmaßnahmen beliebt, denn sie sind nicht nur leicht umzusetzen, sondern auch günstig. Derzeit werden Kompensationsmaßnahmen zu einem Startpreis ab zwei Euro pro Tonne CO2e angeboten. Zum Vergleich: Die Kosten für eine Tonne CO2 im Rahmen des offiziellen EU-Emissionshandelssystems (ETS), durch das Unternehmen zusätzliche Rechte für Emissionen oberhalb einer bestimmten Grenze erwerben können, lag in den letzten zwölf Monaten zwischen 65 und 105 Euro und damit bis zu 50 Mal höher als die für Kompensation.
Die logische Alternative: Konkrete Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen
Natürlich hat die Kompensation von Treibhausgasemissionen ihre Berechtigung. Da langfristig fast alle Emissionen vermeidbar sind, sollte sie jedoch kein Universal-Werkzeug für die Dekarbonisierung des Güterverkehrs sein. Stattdessen sind Verlader, Spediteure und Logistikdienstleister besser beraten, konkrete Maßnahmen zur Treibhausgasreduzierung zu ergreifen.
Dies beginnt damit, dass alle Emissionen so genau wie möglich gemessen werden sollten. Berechnungen auf Basis von Primärdaten erhöhen nicht nur die Genauigkeit deutlich, sie lassen auch teils erhebliche Unterschiede zwischen Dienstleistern sowie Verbesserungen im CO2-Fußabdruck sichtbar werden.
Digitale und skalierbare Lösungen ermöglichen das. Erst wenn es ein konkretes Bild gibt, das darstellt, wo welche Treibhausgase in welcher Höhe entstehen, können Unternehmen langfristige Dekarbonisierungsziele als Teil einer umfassenderen Strategie festlegen. Diese sollte eine nach Prioritäten geordnete Liste von Maßnahmen und wissenschaftlich fundierte jährliche Reduktionsziele umfassen, die die Emissionen der Scopes 1, 2 und 3 einschließen. Zudem müssen Ergebnisse regelmäßig mit den gesetzten Zielen verglichen und gegebenenfalls Korrekturmaßnahmen ergriffen werden.
Bei einer sinnvollen Klima-Strategie, die die Reduktion von Emissionen im Fokus hat, geht es nicht nur um Investitionen in teure, neue Technologien. Unternehmen können durch schrittweise Veränderungen, welche die betriebliche Effizienz verbessern, erheblich Kosten senken und dadurch höhere Gewinne erzielen. Digitalisierung ist hier entscheidend. Mit digitalen Tools, die einfach einzuführen sind und nur minimale Investitionen erfordern, können Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen reduzieren, indem sie einen verbesserten Datenaustausch ermöglichen, die Transparenz erhöhen und damit bessere Entscheidungen anstoßen. Mit den richtigen Daten ausgestattet, können Unternehmen so beispielsweise Leerkilometer reduzieren, unnötige Verweilzeiten abbauen, Fahrer zu nachhaltigem Fahrverhalten erziehen und Verkehrsträger intelligent kombinieren, um Emissionen zu minimieren.
Doch Digitalisierung allein reicht nicht aus. Die magische Zutat für eine effektive Dekarbonisierung ist die Implementierung der digitalen Werkzeuge in ein kollaboratives Netzwerk. So kann die Branche zum Beispiel die Leerkilometer wesentlich effektiver reduzieren, wenn verschiedene Akteure auf digitalen Transportmanagement-Plattformen zusammenarbeiten, anstatt in Silos zu operieren.
Lesen Sie auch über die Zusammenarbeit der Rail Cargo Group mit Transporeon: Wie interne Digitalisierungsprojekte der ÖBB Rail Cargo Group den Intermodalverkehr steigern
Mit Blick auf die Zukunft werden Spitzentechnologien wie elektrische und andere Lkw (und sogar Flugzeuge, welche Treibstoffe aus nicht fossilen Rohstoffen („Sustainable Aviation Fuel“ - SAF) einsetzen) die Transportbranche verändern und die Dekarbonisierung des Güterverkehrs ermöglichen. Sie sind jedoch noch Jahre von der Durchführbarkeit in großem Maßstab entfernt und erfordern erhebliche Kapitalinvestitionen sowie Infrastruktur zur Umsetzung. Auch auf solche „golden tickets“ zu warten fehlt die Zeit. Wenn Unternehmen also in Pilotprojekte für erneuerbare Energien investieren, ist es ratsam, die oben beschriebenen „Quick Wins“ heute noch umzusetzen.
Die Dekarbonisierung der Logistik kann nicht über Nacht geschehen. Auch wenn die Kompensation von CO2-Emissionen nach einem schnellen Weg zur Nachhaltigkeit klingt, ist dies nicht die Realität. Was wir brauchen, ist ein mehrgleisiger Ansatz, der kurzfristige Effizienzsteigerungen, langfristige Projekte für erneuerbare Energien und einen durchdachten Ausgleich für unvermeidbare Emissionen kombiniert. Dies ist der beste Weg für die Industrie, sich auf einen wirklich nachhaltigen Weg zu begeben.