Technische Logistik : Steigende Anforderungen an Lagerhaltung und wie man sie technologisch lösen kann

Das Logistiklager der Zukunft ist digitalisiert, vernetzt und intelligent.
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Binder bietet Rundsteckverbinder für die Industrie- und Automatisierungstechnik. An deren Hauptsitz in Neckarsulm entsteht derzeit in zwei Bauphasen ein neues Werk mit Produktion, Logistik, Büros und Sozialräumen. Wie für nahezu alle Lagerbetreiber ging es auch hier darum, Effizienz und Qualität zu steigern und die Kosten zu senken.

Kunden erwarten heutzutage schnellere Lieferungen. Zugleich werden die Logistikprozesse im Zuge der Globalisierung komplexer. Einzelteile oder Waren werden aus verschiedensten Teilen der Welt ins Lager befördert, um von dort im fertigen und verpackten Zustand wieder eine Reise in alle Welt anzutreten. Das hat auch deutliche Auswirkungen auf die Intralogistik, sodass der Anspruch war, sowohl auf Hard- als auch auf Softwareebene dem Warenfluss die Komplexität zu nehmen. Um dies zu bebildern, lohnt ein Blick auf die Bauprozesse.

Zum Ende des ersten Bauabschnitts konnte die Produktion und der neue Logistikbereich mit Hochregallager für Paletten und Kleinteilelager für Behälter sowie umfangreicher Fördertechnik planmäßig in Betrieb genommen werden. Das neue Zentrallager vereint die zuvor baulich und räumlich getrennten Versand- und Teilelager. In der zweiten Bauphase werden dann schrittweise die drei Werke zusammengeführt und zugleich direkt ans Zentrallager angebunden. Durch die Konzentration der Warenströme wird die Komplexität der logistischen Abläufe signifikant reduziert werden. Möglich macht das eine Logistikanlage mit dem höchsten Automatisierungsgrad der Binder-Unternehmensgeschichte.

Wenn Kapazitäten an ihre Grenzen stoßen

Verfolgt wurden u. a. zwei Lösungsansätze, die auf andere Lager übertragbar sind – Platzoptimierung und Automatisierung. Eine der größten Herausforderungen in Warenlagern ist die effiziente Nutzung des verfügbaren Platzes. Das hieß im Fall von Binder, dass Räumlichkeiten zusammengelegt oder enger miteinander verbunden wurden. Platzoptimierung kann aber auch die Maximierung der Lagerkapazität bedeuten, die im Zuge steigender Nachfrage nach Produkten erforderlich wird. Hier können innovative Technologien wie automatische Regalsysteme und vertikale Lagerung zum Einsatz kommen. Vollautomatisierte Lager, wie bei Binder, können heute dreimal so hoch gebaut werden wie manuelle Lager. Durch die Nutzung der Höhe lagern mehr Produkte auf kleinerer Fläche, nicht zuletzt, wenn man wie in diesem Use-Case noch auf doppeltiefe Lagerung setzt.

Der zweite Lösungsansatz, Automatisierung, ist für Lagerbetreiber omnipräsent. Automatisierte Systeme wie fahrerlose Transportsysteme und Roboter ermöglichen eine effiziente und präzise Lagerverwaltung. Sie bewegen Waren schneller und genauer, was zu einer Reduzierung von Fehlern und einer Steigerung der Produktivität führt. Gibt es gut laufende manuelle Prozesse, kann eine Kombination von manuellen und automatisierten Prozessen im Lager sinnvoll sein - vorausgesetzt es sind genügend Arbeitskräfte vorhanden. Denn Automation kommt nicht nur zur Effizienzsteigerung zum Einsatz, sondern auch um den bestehenden Fachkräftemangel zu begegnen. Dabei ersetzen Automationssysteme nicht nur manuelle Prozesse, sondern vereinfachen z. B. mit Step-by-Step-Anweisungen an den Arbeitsplätzen Prozesse so weit, dass auch ungelernte Mitarbeiter diese ausführen können.

Binder war sehr stark gewachsen, sodass die Kapazitäten bereits an ihre Grenzen gestoßen sind. Mit Blick auf die Zukunft hatte sich das Unternehmen daher bewusst für ein vollautomatisiertes Lager entschieden, nicht zuletzt, da es eine Doppelnutzung gibt. Der Neubau ist sowohl Nachschublager für die Produktion als auch Fertigwarenlager für den Versand. Automatisierung hilft Prozessfehler, die bei so einer Doppelnutzung auftreten können, zu verhindern.

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Technologien orchestrieren mittels SAP

Möglich ist das nur, wenn die Software-Seite alles gut aussteuert. Um die umfangreichen Technologien einmal zu benennen, die es per SAP zu orchestrieren galt: Das Lager besteht aus einem automatischen Palettenlager (APL) mit doppeltiefer Lagerung und einer Kapazität von rund 1.500 Stellplätzen sowie einem 4-fach tiefem Shuttlelager für Behälter mit rund 45.000 Behälterplätzen in drei Gassen und 58 Ebenen. Die Ein- und Auslagerung der Paletten im APL erfolgt über ein vollautomatisches Regalbediengerät und einer Leistung von 35 Doppelspielen pro Stunde. Im Shuttlelager kommen pro Gasse vier besonders dynamische Shuttlefahrzeuge zum Einsatz, die eine Leistung von 450 Doppelspiele pro Stunde erbringen. Das ermöglichte eine Verdreifachung der Kapazität im Vergleich zum alten Lager. Über die Zahl der Shuttlefahrzeuge kann die Leistung der Anlage mit dem perspektivisch weiter zunehmenden Bedarf sogar noch wachsen.

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Die Automatisierungssysteme in Gleichklang zu halten, dafür nutzten wir SAP EWM (Extended Warehouse Management) und SAP EWM/MFS (Materialflusssystem). Erstgenanntes bildet die Prozesse in den Bereichen Wareneingang, Lagerung, Produktionsversorgung sowie Kommissionierung und Versand ab, das Zweite den Materialfluss in den automatischen Lagerbereichen. Eine optimierte Austarierung all dieser Abläufe gelingt durch die offene Struktur beider Programme. So lässt sich SAP EWM nahtlos mit anderen SAP-Modulen und -Softwarelösungen wie SAP ERP, SAP S/4HANA und SAP TM verknüpfen bzw. in sie integrieren. Für das Shuttlelager von Binder wurde z. B. ein individualisiertes Prozess-Management-System von Körber aufgesetzt, das sich ebenfalls problemlos in das übergeordnete SAP-System einfügte. Neben der funktionalen Abdeckung der vielfältigen Prozesse legte binder sehr großen Wert auf eine intuitive Benutzeroberfläche. Körber nutzt hierfür SAPUI5, die modernste Technologie der SAP. Der so ermöglichte automatische Datenausgleich zahlt sich auch beim Arbeitsaufwand aus. Dieser wird deutlich geringer, da durchgängige Prozesse die Mehrfacherfassungen von Waren deutlich reduzieren.

Was lässt sich aus diesem Use-Case auf andere Warenlager übertragen? Sicher nicht die einzelnen Hardware-Komponenten - für manche lohnt sich ein großes Shuttlelager, für andere geht es auch eine Nummer kleiner. Abschauen vom Fall binder lässt sich aber sicher die optimale Planung von Raum und Technologie. Denn es ist abzusehen, dass die Konzentration der Warenströme ein immer wichtig werdender Lösungsansatz zur Optimierung von Lagern ist.

Wie viele Abläufe automatisch, wie viele manuell erfolgen sollen, gilt es individuell abzuwägen. Klar ist jedoch, Automatisierungstechnologie hilft Platz zu minimieren und Prozesse zu beschleunigen. Aber erst eine durchgängige IT-Struktur sorgt für ein einfach zu handhabendes, schlankes Logistiksystem mit höchstmöglichem Durchsatz und Kapazität. Die Modularität von Systemen wie SAP sorgt zugleich dafür, dass Anlagentechnik variabel mitwachsen kann. Denn mag es auch keinen universellen Lösungsweg geben, gibt es doch einen universellen Anspruch an künftige Warenlager – flexibel sollen sie sein. Raumgestaltung, Automatisierung und IT-Strukturen werden dabei eine Hauptrolle spielen.

Der Autor Veit Liemen ist CSO der Körber-BU Supply Chain Consulting.