Supplychain : Das sind die neuen Vorschläge für das Lieferkettengesetz

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Heute beraten EU-Diplomaten der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union erneut über das EU-Lieferkettengesetz: Die belgische Ratspräsidentschaft versucht, mit einem erneuten Kompromissvorschlag eine Mehrheit zu finden, trotzdem ein Vorschlag mit bereits entschärften Regeln nicht angenommen wurde.

Österreich dürfte sich erneut enthalten, wie ein Experte des Wirtschaftsministeriums gegenüber dem EU-Ausschuss des Bundesrates sagte, teilte die Parlamentskorrespondenz mit. Auch in der Vergangenheit hatte sich die Regierung bei dem Thema enthalten, nachdem sich die zuständigen Regierungsmitglieder nicht einig sind: Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ist für die EU-Richtlinie, während Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) weitere Änderungen will.

Bei der Besprechung des Themas im österreichischen Parlament brachten SPÖ als auch FPÖ Anträge zum Lieferkettengesetz ein, die beide keine Mehrheit fanden. Die SPÖ sprach sich für, die FPÖ gegen das Gesetz auf EU-Ebene aus.

<< Dispo hat bei SSI Schäfer nachgefragt, wie sich das Unternehmen auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz - kurz LkSG - vorbereitet <<

Ausschlaggebend für die Blockade in Brüssel ist aber nicht nur Österreich. Auch große Länder wie Deutschland oder Italien verweigerten ihre Zustimmung zu dem mit dem EU-Parlament ausverhandelten Richtlinien-Text. Im Falle Deutschlands ist es wie in Österreich die Uneinigkeit innerhalb der Regierung.

Italien will Zugeständnisse bei der EU-Verpackungsverordnung

Belgien hat aktuell die Ratspräsidentschaft inne und versucht durch neue Kompromissvorschläge, doch noch eine Einigung zu erzielen. Vor einer Woche schlugen sie vor, dass nurmehr Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern (davor: 500) und über 300 Mio. Euro Umsatz (davor: 150 Mio.) von der Richtlinie betroffen sein sollen. Zudem soll es keine gesonderten Regeln für Risikosektoren mehr geben und die Klagerechte der Zivilgesellschaft wurden eingeschränkt. Finnland konnten sie damit überzeugen, was aber nicht für eine Mehrheit reichte. Einem aktuellen Bericht von Euronews zufolge werde nun sogar eine Anhebung auf 450 Mio. Euro Umsatz ins Spiel gebracht, um die nötige Mehrheit (55 Prozent - also 15 von 27 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung abbilden) im Rat zu finden.

Mit Blick auf Italien berichten Medien über einen möglichen Kuhhandel: Die Regierung in Rom würde eine Zustimmung beim Lieferkettengesetz an ein Entgegenkommen bei der EU-Verpackungsverordnung knüpfen. Diese steht ebenfalls für Freitag auf der Tagesordnung der EU-Diplomaten.

Angesichts der anstehenden EU-Wahl wird eine Verabschiedung der Lieferkettenrichtlinie vor der Wahl immer unwahrscheinlicher - vor allem je länger die Staaten für eine Einigung brauchen und je weiter sie dafür von der Vereinbarung mit dem Parlament abgehen.

Zahlreiche Alternativvorschläge aus Österreich

Hierzulande gibt es viele Stimmen, die für Alternativen zum aktuellen Vorschlag plädieren. Der Complexity Science Hub (CSH) will etwa Handelsdaten verschiedener Länder miteinander verknüpfen. Wenn die EU etwa neben dem Warenhandel auch Dienstleistungen einbezieht und sie mit Mehrwertsteuerdaten verknüpft, könnte dies zu einem umfassenden länderübergreifenden Netzwerk auf Unternehmensebene führen. "Damit wäre das EU-Lieferkettengesetz mit einem Schlag obsolet", so CSH-Präsident Stefan Thurner. (Die gesamte Analyse dazu gibt es hier: "Es wird noch die ein oder andere Supply-Chain-Krise brauchen, um wachgerüttelt zu werden")

Auch Franz Staberhofer, Leiter des Logistikums an der FH OÖ, hat einen alternativen Vorschlag zum Lieferkettengesetz
der EU, dessen Diskussionen und mögliche Umsetzungen er als "fast schon skurril" beschreibt. Die Forderung zur Verpflichtung, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltauflagen zu überprüfen, sei zwar "essenziell", sagt Franz Staberhofer - "aber in der geplanten Form sachlich nicht möglich".

Sein Alternativ-Vorschlag: Eine Listenregelung. Eine solche Liste würde alle Unternehmen, die „freigegeben“ sind, umfassen, die produzierenden Unternehmen müssten nicht einzeln dasselbe Prozedere durchlaufen. Diese Liste müsste natürlich rechtlich verbindlich die Unternehmen entlasten. Damit würde man das Ziel des Lieferkettengesetzes wieder in den Mittelpunkt stellen: die Nachhaltigkeit.

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Und auch das heimische Start-up Prewave meldet sich in der Diskussion zu Wort: Vor allem der zusätzliche bürokratischen Aufwand sei für KMU schwierig. Zwar seien sie aufgrund ihrer Unternehmensgröße zwar meist nicht direkt, aber als Teil der Lieferketten größerer Unternehmen oft indirekt von den neuen gesetzlichen Sorgfaltspflichten betroffen und mit unzähligen Fragenbögen und Auflagen ihrer Kunden konfrontiert.

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Hier könne ein "AI-basiertes Screening, das öffentliche Quellen sowie branchenspezifische und regionale Risikoindikatoren kombiniert" Lieferanten automatisiert prüfen, und Fragebögen auf die ein bis zwei Prozent riskantesten Lieferanten beschränken, erklärt Harald Nitschinger, Geschäftsführer des KI-Startups Prewave.

Diese Lösung sei heute schon bei über 150 deutschen Unternehmen im Einsatz, dazu zählen Großunternehmen wie VW, BMW oder die Lufthansa, aber auch mehr als hundert mittelständische Unternehmen. Seit dem letzten Jahr arbeitet Prewave auch gezielt mit Verbundgruppen des deutschen Mittelstands zusammen, um die Softwarelösung kostengünstig und unbürokratisch einer großen Anzahl von mittelständischen Unternehmen zugänglich zu machen. Durch die Zusammenarbeit im Verbund werde, neben dem Effizienzgewinn durch die Technologie, der bürokratische Aufwand zusätzlich reduziert, indem Sorgfaltspflichten und Maßnahmen im Sinne der mittelständischen Mitglieder gebündelt werden.

In der Diskussion um das Europäische Lieferkettengesetz schlägt Nitschinger vor, mehr Rechtssicherheit für Brancheninitiativen zu schaffen - um Modelle, die Synergien für mittelständische Unternehmen erhöhen, ausbauen zu können. Zusätzlich fordert das Startup ein Whitelisting für mittelständische Unternehmen, welche nachweislich die Sorgfaltspflichten erfüllen. “Das derzeit diskutierte europäische Lieferkettengesetz sieht vor, dass Unternehmen, die selbst unter das Gesetz fallen, nur eingeschränkt geprüft werden müssen. Dies trifft aber für viele mittelständische Unternehmen, die aufgrund ihrer Unternehmensgröße nur indirekt vom Gesetz betroffen sind, nicht zu. Diese mittleren und kleinen Unternehmen können verstärkt geprüft werden, weil ihre Kunden zwar unter das Gesetz fallen, sie selbst aber nicht - auch wenn sie schon proaktiv ihre Sorgfaltspflicht erfüllen", fasst Nitschinger zusammen.

Die Kombination aus Technologie, Brancheninitiativen und eines Whitelistings mittelständischer Unternehmen könnte nachhaltig den Aufwand für den Mittelstand reduzieren und einen Ausweg in der Debatte um das europäische Lieferkettengesetz bieten.