Künstliche Intelligenz : Wie Bier zu einer resilienten Supply Chain beitragen kann
Kennen Sie das Bierspiel? Falls Sie jetzt an Bierpong denken, sind Sie falsch abgebogen – oder haben das so einfache wie effiziente Rollenspiel noch nicht kennengelernt. Beim Bierspiel nehmen die Teilnehmenden verschiedene Positionen in der Supply Chain ein. Das erklärte Ziel: Die Kosten der gesamten Wertschöpfungskette so gering wie möglich zu halten.
Durch die Tatsache, dass wie im echten Tagesgeschäft die einzelnen Beteiligten einer Lieferkette ihre Informationen nicht vollständig austauschen, sondern lediglich die Bestellmengen übermitteln, liegt der Fokus meist nur auf der Bewältigung der eigenen Situation, der jeweiligen Rolle. Dies führt dazu, dass sich die Bestellmengen sehr schnell aufschaukeln, wie man es vom Bullwhip-Effekt kennt. Trotz einfachster Regeln haben selbst erfahrene Logistiker Schwierigkeiten, das Aufschaukeln der Bestellmengen zu verhindern.
„Die Erkenntnis dieses Rollenspiels ist, dass die Systemstruktur das Systemverhalten bestimmt. Probleme in der Supply Chain werden also nicht vorwiegend durch externe Faktoren verursacht, sondern durch den fehlenden Informationsaustausch ausgelöst“, erklärt Eric Weisz, Gründer und CEO des Start-ups Circly, der derzeit am Institut Transportwirtschaft und Logistik der WU Wien promoviert.
Er untersucht, wie man künstliche Intelligenz nutzt, um den Bullwhip-Effekt in Lieferketten zu glätten. Weisz legt dabei den Fokus auf die Management-Perspektive, da die Technologie selbst bereits gut erforscht wurde, wie er sagt. Das Start-up Circly hat Weisz gemeinsam mit Armin Kirchknopf gegründet, um KI-Anwendungen für Supply Chain Mitglieder von der Produktion bis hin zum Einzelhandel kosteneffizient und kinderleicht zugänglich zu machen.
Das Bierspiel
Das Bierspiel – bzw. das „MIT Beer Distribution Game“ wurde von John D. Sterman 1989 am MIT entwickelt, um den Bullwhip-Effekt zu untersuchen. Er argumentiert, dass das Bullwhip-Phänomen auf suboptimale Entscheidungen von Mitgliedern der Wertschöpfungskette zurückzuführen ist, die ihre individuellen Strategien in jeder Phase oder Schicht der Wertschöpfungskette höher bewerten als die Betrachtung der Wertschöpfungskette als Einheit. Das Bierspiel wird heute noch an Wirtschaftsschulen gelehrt.
Die Sorge um die Daten
Auf fast allen Veranstaltungen zum Thema Künstliche Intelligenz ist von den Daten als Problem die Rede. Und zwar nicht der Mangel an Daten, sondern vor allem die Weitergabe dieser. „Das Problem der Supply Chain ist also die Informationslage“, so Weisz. Die Tatsache, dass die meisten Unternehmen kein Vertrauen haben und nicht bereit sind, Informationen weiterzugeben, führt unter anderem zu verschiedenen Prognosemethoden innerhalb der Lieferkette, die entweder durch die Verwendung falscher Daten oder unvollkommener Prognosetechniken einen Bullwhip-Effekt verursachen können. Die weiteren Folgen sind etwa ein etwaiger Anstieg der Lager- oder Herstellkosten, der Wiederbeschaffungszeiten oder der Transportkosten.
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Durch die kooperative Denkweise aller an der Supply Chain Beteiligter, die freiwillig und effizient Daten austauschen, könnte dem Bullwhip-Effekt Einhalt geboten werden. Eric Weisz hat im Gespräch mit Dispo auch ein Paradebeispiel zur Hand: „Procter & Gamble und Walmart, beide wichtige Akteure in ihren Branchen, haben einen Weg gefunden die Informationstechnologie zu nutzen, indem sie Daten über ihre gemeinsamen Lieferketten austauschen. Dadurch sind die Aktivitäten entlang der Supply Chain besser koordiniert und es besteht ein geringerer Bedarf an Lagerbeständen, aber ein höherer Ertrag durch den Fokus auf den Bedarf der Endkundschaft.“
Kann künstliche Intelligenz den Bullwhip-Effekt vermeiden?
Künstliche Intelligenz lässt die Akteure der Supply Chain in die Zukunft blicken, indem sie datengestützt und emotionslos Trends erkennt und so die schlechte oder teilweise fehlende Kommunikation zwischen den einzelnen Teilnehmenden der Supply Chain umgeht.
Ein Anwendungsbeispiel ist etwa das Timeseries Forecasting. Hier werden historische Daten in Form eines Zeitstrahls miteinander kombiniert, die Technologie erkennt die Abhängigkeiten zwischen den Daten. Dadurch, dass die Information zu verschiedenen Faktoren, wie etwa Saisonalitäten, Wetter, Events und ähnlichem im Voraus bekannt sind, erkennt die KI-gestützte Software die Kombination dieser Faktoren und ermittelt den tatsächlichen Bedarf. Wie gut die Ergebnisse der KI sind, bestimmt die Eingangsdatenlage. Um zu starten werden rund drei Jahre an historischen Daten benötigt.
Dadurch ist der Produzent nicht mehr auf die Prognose der Einzelhändler angewiesen, sondern kann durch den Einsatz von KI präzise planen. Damit wird nicht auf der Basis einfacher Statistik und menschlicher Erfahrung, sondern aufgrund vieler unterschiedlicher Faktoren.
Doch Zeitserienvorhersagen sind nicht das einzige Anwendungsbeispiel, neben dem Bullwhip-Effekt können auch weitere Probleme der Supply Chain mittels Einsatz von Künstlicher Intelligenz gelöst bzw. eingedämmt werden.
So kann etwa die Personaleinsatzplanung über ein Effizienzschlüssel durch die Vorabkalkulation des Aufwandes optimiert werden, oder die Tourenplanung effizienter gestaltet werden, um Leerfahrten zu verhindern. Bei der Zollabwicklung ist künstliche Intelligenz in der Lage, automatisiert gegenzuprüfen, auszufüllen und weiterzuverarbeiten. „Ein weiteres Einsatzfeld sind auch Inventuren, wobei man hier gegebenenfalls Roboter benötigt. Ein spannendes Beispiel ist etwa Ubica aus Deutschland, die mit einem Roboter und passender KI Inventuren übernehmen“, beschreibt Eric Weisz.
Logistikbranche als Vorreiter bei KI
Die Logistikbranche hat dabei die Bedeutung von künstlicher Intelligenz längst erkannt, wenn man einer aktuellen Bitkom-Studie Glauben schenkt. Demnach setzt jedes fünfte Logistikunternehmen in Deutschland KI ein - entweder in der Bedarfsprognose, bei der Absatzplanung oder der Transportoptimierung. Weitere 26 Prozent planen dies oder diskutieren darüber.
Die Ergebnisse stammen aus einer repräsentativen Befragung unter mehr als 400 Logistikunternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland. Damit sind ausschließlich Logistikdienstleister gemeint, also Transportlogistik (Landverkehr, Schifffahrt, Luftfahrt), Lagerei sowie Post-, Kurier- und Expressdienste.
Im Vergleich dazu setzen nur neun Prozent der deutschen Unternehmen Künstliche Intelligenz als strategische Komponente ein. „Die Logistikbranche hat erkannt, welches Potenzial KI sowohl im Lager als auch beim Transport bietet und nutzt die Technologie gezielt, um Effizienz, Qualität und Produktivität zu steigern“, kommentiert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder die Ergebnisse.
Für die Zukunft geht mehr als die Hälfte der Logistikunternehmen (58 Prozent) davon aus, dass Künstliche Intelligenz weit verbreitet sein und viele Aufgaben in der Logistik übernehmen wird, etwa die Planung von Routen oder die Vermeidung von Leerfahrten.
In der Logistikbranche schätzt sich die Mehrheit der Unternehmen (56 Prozent) als Vorreiter beim Thema Digitalisierung ein – in der Gesamtwirtschaft sind es im Vergleich nur 32 Prozent.