Logistik-Trends : Haben Sie diese Trends am Radar?

Das Logistiklager der Zukunft ist digitalisiert, vernetzt und intelligent.
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Vor allem die vielfältigen Krisen in den letzten Jahren haben deutlich gemacht, wie wichtig robuste Lieferketten und eine funktionierende Logistik sind. Die Branche ist quasi vom Hinterzimmer nun als strategischer Vermögenswert und Werttreiber in den Fokus gerückt.

Der DHL Logistics Trend Radar beleuchtet alle zwei Jahre die aktuellen Trends, die sich in der Logistikbranche abzeichnen. Darunter werden die Dekarbonisierung, die Robotertechnik, Big Data, die Diversifizierung von Lieferketten und alternative Energielösungen die Logistik am stärksten verändern, heißt es in dem Bericht. Er ist das Ergebnis einer Analyse von Makro- und Mikrotrends und beruhe auf Erkenntnissen aus dem intensiven Austausch mit Kunden und einem großen Partnernetzwerk, das Forschungsinstitute, Technologieunternehmen und Start-ups umfasst, so DHL.

"In der diesjährigen Ausgabe stellen wir neue Logistiktrends vor, die zuletzt stark an Bedeutung gewonnen haben, wie zum Beispiel Computer Vision, interaktive KI, Smart Labels und DEIB (Diversity, Equity, Inclusion & Belonging). Außerdem geben wir detailliertere Einblicke in die Entwicklung vieler weiterer Trends, die in der fünften Ausgabe der Publikation vorgestellt wurden. So haben wir den Trend nachhaltige Logistik - das Top-Thema der letzten Ausgabe - weiter heruntergebrochen in Kreislaufwirtschaft, Dekarbonisierung, alternative Energielösungen und sonstige Trends. Unsere Kunden messen dem Nachhaltigkeitsthema weiterhin höchste Bedeutung bei. Im Mittelpunkt der Transformation der Logistik stehen jedoch Maßnahmen zur Sicherstellung resilienter Lieferketten. Im Supply Chain Management geht es nicht mehr nur um Effizienz und operative Exzellenz - die Erkenntnis, dass Lieferketten ein wesentlicher Treiber einer messbaren Wertschöpfung sind, setzt sich immer mehr durch“, erklärt Klaus Dohrmann, VP Head of Innovation Europe, DHL Customer Solutions & Innovation.

Den Krisen begegnen

Die Diversifizierung der Lieferketten sind also ein treibendes Thema, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dazu sind Multisourcing bei dem mit unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Lieferanten zusammengearbeitet wird, und Multishoring, bei dem auf Anbieter aus verschiedenen Ländern oder Regionen zurückgegriffen wird, mögliche Strategien.

Durch eine breitere Lieferantenbasis und den Ausbau der Produktions- und Vertriebsnetze können Resilienz, Agilität, Reaktionsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden. 76 Prozent der für den DHL Logistics Trend Radar befragten Unternehmen wollen ihre Lieferantenbasis in den nächsten zwei Jahren nennenswert anpassen, um ihre Lieferkette resilienter zu machen.

Transparenz ist dafür der entscheidende Faktor. Durch Analysen großer Datenmengen - Stichwort Big Data - können bisherige Muster identifiziert, Veränderungen des Status quo in Echtzeit erkannt und Prognosen erstellt werden. Unternehmen, die in der Lage sind, permanent große Mengen unstrukturierter Daten zu analysieren, werden ganz klar im Vorteil sein, während diejenigen, die nur die wichtigsten Transaktionsdaten betrachten, enormes Potenzial ungenutzt lassen.

Digitale Zwillinge
vereinfachen die vorausschauende Wartung, wodurch Produktionsausfälle um 70 Prozent reduziert und Lieferketten am Laufen gehalten werden können, während Computer Vision effizientere Abläufe und einen sichereren Betrieb ermöglicht.

Ökologische Nachhaltigkeit als Wert und Notwendigkeit

Das Thema ökologische Nachhaltigkeit gewinnt weltweit weiter an Bedeutung. Die als besonders einflussreich identifizierten Trends sind die Dekarbonisierung, alternative Energielösungen, Kreislaufwirtschaft und Umweltbewusstsein. Was die Dekarbonisierung angeht, hat das Weltwirtschaftsforum vor Kurzem festgestellt, dass sich die Preise durch eine klimaneutrale Lieferkette im Schnitt um nicht mehr als vier Prozent erhöhen würden. Da viele Kunden mittlerweile bereitwillig mehr für nachhaltigere Optionen bezahlen, sondieren die Unternehmen die aktuell verfügbaren Lösungen zur Dekarbonisierung ihrer Lieferketten.

85 Prozent der Verbraucher sind in den vergangenen fünf Jahren umweltbewusster in ihrem Kaufverhalten geworden und 65 Prozent ändern ihre Lebensgewohnheiten grundlegend oder zumindest in einem gewissen Maße. Vor diesem Hintergrund prüfen die Unternehmen verschiedene Möglichkeiten, um ihre Produkte "grüner" zu gestalten. Dabei sind die Lieferketten ein wichtiger Hebel.

Was alternative Energielösungen angeht, prüfen die Unternehmen die Umstellung auf eine elektrische Flotte. Von den 755 Milliarden US-Dollar, die 2021 in die Energiewende investiert wurden, flossen 36 Prozent in die Elektromobilität. Ein Trend, der neue Geschäftsmodelle erfordern könnte, ist die Kreislaufwirtschaft. Momentan werden nur 8,5 Prozent der Materialien, die wir verbrauchen, recycelt oder wiederverwendet. Für Logistikunternehmen bieten sich in allen Segmenten der Lieferkette enorme Möglichkeiten, durch Kreislaufwirtschaftsansätze nachhaltiger zu werden und so die Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfüllen.

Letztendlich ist auch das Thema Automatisierung und Effizienzsteigerung vor allem in der Logistik ein großes Feld, das mit den meisten Anforderungen – resiliente Lieferketten, Lösungen gegen den Arbeitskräftemangel und Dekarbonisierung – Hand in Hand geht. Wichtige Trends sind hier natürlich sowohl mobile als auch stationäre Roboter.

Mobile Roboter
für Innenbereiche sind in den vergangenen Jahren deutlich differenzierter geworden, bei kontinuierlichen technologischen Fortschritten. Sie können nun Waren von einem Ort zum anderen transportieren, beim Be- und Entladen von Containern oder Lastwagen helfen und sogar für die Reinigung und Gebäudesicherheit eingesetzt werden. Stationäre Roboter hingegen können strategisch in Lagern oder Hubs platziert werden, um Prozesse zu optimieren. Künftig werden automatisierte Prozesse mit kollaborativen Robotern aus der Logistik nicht mehr wegzudenken sein.

Interview mit DHL-Manager Ralf Schweighöfer zum aktuellen Trend Radar

Der Trend Radar erscheint alle zwei Jahre. Sie meinten im Vorgespräch, dass einige Themen verschwinden, um dann wieder Fahrt aufzunehmen – oder umgekehrt. Haben Sie hier ein Beispiel?

Ralf Schweighöfer
Ein Beispiel ist sicherlich das Thema Drohnen. Schon vor zehn Jahren wurde ich auf das Thema angesprochen - und erst vor einigen Wochen wurde ich wieder zu einer Podiumsdiskussion zum Thema eingeladen, weil sie jetzt wieder sehr präsent sind. In der Logistik fristen sie aber nach wie vor eher ein Nischendasein, weil die Einsatzbereiche recht überschaubar sind. Drohnen machen überall dort Sinn, wo ich innerhalb des eigenen Grundstücks bin – etwa für die Inventur im Warehouse. Überall dort, wo es um den Zustellprozess geht, konnten wir bisher noch keinen positiven Businesscase rechnen.
Ein weiteres interessantes Beispiel aus der Vergangenheit sind RFID-Tags. Hier gab es die Erwartung, dass alle Pakete nur noch mit RFID-Tags ausgestattet sind. Wir haben irgendwann festgestellt, dass das nie passieren wird. Natürlich spricht das nicht gegen die Technologie RFID, wir setzen ja oft RFID-Tags ein, aber eben nicht beim Standard-Paketversand, sondern eher bei hochwertigen oder temperaturgeführten Gütern.

Inwiefern haben sich die Trends in den letzten zehn Jahren verändert?

Schweighöfer
Seit dem Start des Trend Radars 2013 sehen wir, dass sich vier Megatrends abgezeichnet haben. Das erste ist das Thema Globalisierung. Wir erleben immer wieder dass Menschen - aus unterschiedlichen Gründen – sagen, die Globalisierung habe keine Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass Globalisierung weltweit für die Bildung und für den Wohlstand der Menschen enorm viel erreicht hat, insofern ist die Globalisierung erst einmal etwas Positives. Ich glaube wir müssen verantwortlicher mit Globalisierung umgehen. Wir müssen uns Gedanken machen, ob wir etwa wirklich jedes einfache Teil einmal quer durch die Welt karren müssen. Das ist der erste große Trend. Und auch wenn jetzt gerade wieder viele sagen, dass wir schauen müssen, woher wir sourcen, glaube ich trotzdem nicht daran, dass wir in den teuren Ländern, in denen wir leben, wettbewerbsfähig alle Produkte gut produzieren können. Es geht eher um eine Diversifizierung der Lieferketten als um das Thema, alles wieder im eigenen Land zu produzieren.

Ich nehme an Digitalisierung ist ein weiterer Megatrend?

Schweighöfer
Genau. Man kann es sich nicht mehr leisten, nicht über Digitalisierung zu sprechen. Es ist aber wichtig, es konkret zu machen: Was haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was haben die Kundinnen und Kunden davon. Wir haben es etwa als Beispiel weitgehend geschafft, sämtliche Zolldokumente zu eliminieren, das heißt wir haben die ganze Verzollung komplett digital transformiert. Das ist eine enorme Einsparung von Papier und unter dem Strich auch eine unglaubliche Vereinfachung für alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist stark getrieben seit drei Jahren, der Brexit hat da sicherlich eine große Rolle gespielt.
Der dritte Megatrend ist das Thema E-Commerce. Wir sind der Meinung, dass das Potenzial von E-Commerce noch lange nicht ausgeschöpft ist. Wenn wir uns etwa mit China oder Korea, teilweise aber auch mit den USA vergleichen, wieviel Onlinehandel da schon passiert, dann waren wir lange Zeit ziemlich zurück. Teilweise wurde das während der Pandemie etwas aufgeholt. Ich habe 2017 ein eigenes E-Commerce-Team aufgebaut, um österreichische Webshops zu beraten wie sie durch Internationalisierung ihre Artikel in die ganze Welt versenden können. Hier sind wir am Anfang auf unglaubliche Skepsis gestoßen. Nachdem aber erste Kunden mit uns diesen Weg gegangen sind, war es schon enorm zu sehen, wie sich die Umsätze erhöht haben. Als wir 2017 begonnen haben hatten wir etwa eine Million Umsatz in diesem Segment, im letzten Jahr waren es schon acht Millionen.
Schließlich ist der vierte Megatrend das Thema Nachhaltigkeit. Das gab es immer wieder mal schon, ist aber bei jeder größeren Krise in den Hintergrund getreten. Erst jetzt ist das Thema derart präsent, dass es bleibt.

Sie haben im aktuellen Report das Thema Nachhaltigkeit auf mehrere Themen heruntergebrochen. Warum?

Schweighöfer
Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, ist das Erste, was uns in den Kopf kommt, die Umweltschäden. Es ist aber viel breiter. Am Ende des Tages geht es eben auch um die ESG-Themen beim Thema Nachhaltigkeit. Auch das ‚S‘, also das soziale Engagement, ist ein wichtiges Thema, genauso wie das Governance-Thema - gerade für uns, die wir überall auf der Welt aktiv sind, ist es ganz wichtig, dass wir uns so korrekt verhalten, dass wir eben überall auch weiterhin das Recht haben, importieren und exportieren zu dürfen. Insofern sehen wir das Thema breiter als unter dem Aspekt Umwelt oder Klima.

Gab es Ergebnisse des Trend Radars, die Sie überrascht haben?

Schweighöfer
Das Quick-Commerce-Thema ist etwas, das mir persönlich nicht so bewusst war, also dass E-Commerce in Zukunft vor allem darum geht, wie schnell eine Ware verfügbar ist. Da sprechen wir nicht mehr über den nächsten Tag, sondern wenn ich etwas bestelle, soll es innerhalb von zwei Stunden zugestellt sein. Das hat mich tatsächlich überrascht, dass das offensichtlich durch die Pandemie bedingt so stark in den Fokus gerückt ist. Da werden im nächsten oder übernächsten Jahr viele Unternehmen ihre Services deutlich anpassen müssen.

Hier geht es vermutlich vor allem um den Lebensmittelbereich. Aber ist das ein nachhaltiger Trend?

Schweighöfer
Ich bin relativ skeptisch weil ich noch nie gesehen habe, dass die Lebensmittelzustellung nachhaltig profitabel ist. Ich bin seit 35 Jahren im Konzern und habe in Deutschland mindestens zwei große Projekte zu Lebensmittellogistik erlebt, und das wurde jeweils nach zwei Jahren eingestellt, weil es nicht profitabel abbildbar war. In Österreich wird es bei Gurkerl relativ spannend, wie erfolgreich sie am Ende sein werden. Bei den Großen, Billa und Spar, wird es so sein, dass es aus dem stationären Geschäft mitfinanziert wird.

Ein großer Trend ist wohl auch die Automatisierung in der Intralogistik. Wird der im Trend Radar berücksichtigt?

Schweighöfer
Fahrerlose Systeme sind vor allem im Werk, in der Fabrik, ein großes Thema – überall dort, wo ich eine hohe Wiederholbarkeit habe. Wir haben vor zwei oder drei Jahren in unserem großen Europa-Hub in Leipzig eine automatische Palettensortierung implementiert. Das lohnt sich dort, weil das das Europa-Drehkreuz ist. Das würde sich an den kleineren Standorten in den einzelnen Ländern noch nicht bezahlt machen.