BVL-Geschäftsführer Wolfgang Kubesch : „Eine fast ideologisch gesetzte Fixierung in eine technologische Richtung hilft nicht weiter“

BVL-Geschäftsführer Wolfgang Kubesch
© Monika FELLNER

Herr Kubesch, welche Themen beschäftigen die BVL-Mitglieder aktuell?
Wolfgang Kubesch
Vielfach treibt sie das Thema Arbeitskräfte um. Über Fachkräfte redet man schon gar nicht mehr, hier geht es wirklich um einen groben Mangel an Arbeitskräften. Das ist ein ganz großes Thema. Und natürlich beschäftigt die Unternehmen auch das Thema der Volatilitäten, beispielsweise der Inflationsturbo, das globale Geschehen und im Zuge dessen auch Planbarkeiten und Sicherheiten – Stichwort Ukraine und Rotes Meer.

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Die Unsicherheiten bestehen allerdings im Großen und Ganzen schon seit Jahren, oder?
Kubesch Es geht schon länger so, aber das Ausmaß hat sich deutlich verschärft. Und darüber hinaus gibt es auch infrastrukturelle und systemische Entscheidungen, die final offen sind, etwa bei der Mobilität: Man weiß nicht, woran man sich definitiv orientieren kann. Da gibt es zwar eine Vorstellung, aber ob diese auch chancenreich realistisch ist, ist eine zweite Geschichte. In welche Abhängigkeit begeben wir uns europäisch etwa durch die Elektromobilität? Vieles nur schönzureden wird nicht reichen, um im globalen Wettbewerb signifikant zu performen, Wohlstand sowie Freiheiten sichern zu können. Auch überbordende Regulierungstendenzen sind doch kein Garant für Erfolgspfade.

Auf welche Technologie setzen Ihre Mitgliedsunternehmen? Was tut sich in diesem Bereich generell?
Kubesch
Die Logistik ist immer auf der Suche nach einer perfekten Lösung, speziell im Sinne der Nachhaltigkeit. Aber wir müssen auch wissen, wohin und mit welchem Gefährt die Reise geht. Und das steht leider doch ziemlich unklar in den Sternen. Welche Infrastruktur brauchen wir in Zukunft? Diese Entscheidungen gibt es aber so nicht, auf europäischer Ebene nicht, und in Österreich daher auch nicht. Welche Abhängigkeiten entstehen durch die Elektromobilität, seltene Erden und Batterietechnologien, wie ist das mit dem Product-Life-Cycle in puncto Nachhaltigkeit? Die Logistik kann nur bedingt vernünftig und zielorientiert Akzente setzen, wenn sie eben nicht weiß, wohin die Reise letztlich geht. Das ist so ähnlich wie mit der Güterverlagerung auf die Schiene, das klingt ja auch immer wunderbar, aber die Kapazitäten sind ja leider nicht da, selbst im Personenverkehr treten derzeit Engpässe zutage. Man müsste die Bahninfrastruktur massiv ausbauen. Wir haben jetzt eine hohe Priorisierung des Personenverkehrs, aber wenn man das andere auch möchte, wird man die Infrastruktur dafür errichten müssen. Aber ich habe noch von niemandem wirklich gehört der sagt wir bauen eine zusätzliche Westbahntrasse, damit wir Güter auf die Schiene verlagern können, selbstredend dies auch marktkonform. Als BVL stehen wir für offene Diskussionen, welche auch die berühmte zweite Seite jeder Medaille nicht ausklammern.

Wenn ich Sie richtig zusammenfasse, heißt das in Sachen Dekarbonisierung ist man politisch relativ alleingelassen?
Kubesch
Naja, kaum jemand würde im privaten Bereich sagen, ‚ich kaufe mir etwas‘, wenn ich nicht weiß, ob ich das für meinen Bedarf schließlich nutzen kann. Es braucht einfach glasklare Rahmenbedingungen, die dem Klimaschutz bestmöglich Rechnung tragen. So wie es in vielen anderen Bereichen mehr Rahmenbedingungen gibt, als man wirklich braucht, gibt es in diesem Themenfeld letzten Endes keine Entscheidungen, die eine richtige Planungssicherheit geben. Dekarbonisierung ist ja das Ziel für alle.
Aber wir werden nie strukturell relevant eine Dekarbonisierung stemmen, wenn wir als Gesellschaft und Wirtschaft nicht ziemlich exakt wissen – ich wiederhole mich, wie die Reise verlaufen soll oder wie das Gefährt ausschaut. Und wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir ein globales Klima haben, nicht nur ein Klima in Europa.

Würden Unternehmen gern auf die Schiene verlagern, trotz eher höherer Kosten?
Kubesch
Es gibt schon einige, die das grundsätzlichen andenken. Es muss aber natürlich jemand bezahlen, und am Ende sind das zumeist die Konsumenten. Es sind wohl zusätzliche Kosten zu kalkulieren. Dann ist auch die Frage: Was kann das Netz überhaupt flexibel leisten? Die Schiene ist in der Fläche naturgemäß ganz anders ausgelegt.

Es gibt also auf einer Seite stetig steigende Mengen und auf der anderen Seite derzeit noch wenige Möglichkeiten, sie grün zu transportieren.
Kubesch
Je mehr Transporte entstehen, desto mehr müssen natürlich auch abgewickelt werden – und das am liebsten kostengünstig und umweltfreundlich. Da stehen wir wieder bei dem Ausgangsgedanken. In welcher Form werde ich das tun können, und wo kann man sinnvoll samt kundenorientiert investieren? Eine fast ideologisch gesetzte Fixierung in eine technologische Richtung hilft nicht weiter. Es muss die Technik genommen werden, die am besten ist – und zwar über den gesamten Zyklus gerechnet. Was hilft dem Klima wirklich? Mit Absichtserklärungen ist dem Klima nicht gedient. Und Europa muss natürlich auch darauf achten, dass die Spielregeln für den Klimaschutz nicht nur irgendwo vielleicht erfüllt werden, sondern dass es auch global ein Thema ist – etwa bei der Frage, wo wir einkaufen. Unternehmen haben mit CSR & Co. natürlich Richtlinien. Aber wie spiegelt sich das auch in der gesamten Wertschöpfungskette wider? Welche Sozialstandards gibt es da? Welches Fair-Play gibt es denn da überhaupt? Österreich als Exportland benötigt erst recht diese global anerkannten Parameter.

Da kommt dann das Lieferkettengesetz ins Spiel. Wie ist denn die Rückmeldung der Unternehmen, was das Gesetz angeht? Haben Sie das Gefühl, dass schon Strukturen geschaffen wurden, um es umzusetzen?
Kubesch
Ich denke, hier sind im Detail noch einige Fragen offen. Was bedeutet das denn etwa auch für die Standortsicherheit, für die Wettbewerbsfähigkeit? Aber im Grunde ist es ein Mittel zu mehr Transparenz und Fair-Play, auch global, und damit auf jeden Fall als relevant zu bewerten.
Man muss sich aber schon dessen bewusst sein, dass jedes Gesetz auch gut gelebt und gut mitgenommen werden muss. Insofern denke ich, dass es in Richtung Klimaschutz, Nachhaltigkeit, CSR mehr braucht - im Sinne von Anstrengung und Vorbildwirkung. Wir haben ja letztes Jahr beim Thema Energieversorgung oft gehört, wo private Unternehmen Strom oder Gas sparen können. Im öffentlichen Sektor war das so nicht durchgängig wahrnehmbar, da wurde nicht überall mit gutem Beispiel vorangegangen. Das aber gleichzeitig von der Wirtschaft und der Logistik zu verlangen und es selbst nicht entsprechend vorzuleben, finden wir doch höchst problematisch. Die BVL wird als die unabhängige Institution dem Logistiksektor jedenfalls verpflichtet bleiben, um für dessen Anliegen als die starke Stimme abseits von Partikularinteressen zu fungieren.