Österreichs Logistik : Arbeiten in der Logistik: "Die Frage der Sinnvermittlung ist allgegenwärtig"
Herr Kohnhauser, Sie haben lange in der Industrie gearbeitet und lehren jetzt an der Hochschule. Was gefällt Ihnen am Lehren und was fehlt Ihnen am Arbeiten in der Industrie?
Veit Kohnhauser Ich war viele Jahre in der Industrie tätig, und das Reizvolle an dieser Tätigkeit ist, dass man konkrete Aufgaben hat, an denen man arbeitet, und Entscheidungen trifft, die in der Regel auch unmittelbar zu einer Umsetzung führen. Man entwickelt neue Produktionsanlagen, neue Logistiksysteme und vielleicht neue Produkte - und man sieht unmittelbar das, was man tut. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass man stark thematisch fokussiert ist und sich in der Regel mit einem konkreten Anwendungsfall beschäftigt. Das ist in der Lehre ein bisschen anders. Wir haben gerade an der Fachhochschule viele berufsbegleitend Studierende, die aus unterschiedlichen Branchen kommen und die Logistik von vielen verschiedenen Seiten und in unterschiedlichsten Anwendungen sehen. Das macht es wiederum spannend, weil man auch als Lehrender sehr viel lernen kann. Insgesamt ist diese Kombination aus eigener praktischer Erfahrung aus der Berufslaufbahn in der Industrie und der Theorie, die ich mit den Studierenden bespreche und diskutiere, sehr spannend.
Sie nehmen sozusagen die Use Cases aus der Praxis mit auf die Universität und besprechen die dann in der Lehrveranstaltung?
Genau so läuft es ab. Die Fachhochschulen haben den Auftrag, den Studierenden eine wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Berufsausbildung zu bieten. Und dazu ist es notwendig, zu den Unternehmen zu gehen, sich das vor Ort anzuschauen, die Technologien auch mit denen, die sie tagtäglich anwenden, zu diskutieren. Ich halte das für einen wesentlichen Punkt, den die Fachhochschulen von den Universitäten unterscheidet: Nämlich, dass wir die praxisrelevanten Fragestellungen intensiver betrachten.
Wie bleiben Sie als Lehrender nah an den neuen Entwicklungen in der Logistik?
Fachhochschulen sind mittlerweile sehr umfangreich in der angewandten Forschung tätig. Bei uns am Logistikum an der FH Oberösterreich, wo die Logistik- und Supply-Chain-Management-Aktivitäten zusammengefasst sind, ist das Forschungsteam mittlerweile sogar größer als das Team der hauptberuflich Lehrenden. Wir machen sehr viele angewandte Forschungsprojekte und sind damit auch in der Wissenschaftscommunity gut vernetzt. Da bekommt man einen guten Überblick darüber, was sich in der Wissenschaft so tut. Das ist der eine wesentliche Input. Andererseits machen österreichische Logistik-Dienstleister, die durchaus weltweit erfolgreich sind, selbst sehr viel in Richtung Innovation. Das kann man natürlich auch in die Lehre einfließen lassen. Es kommen also aus beiden Richtungen – der unternehmerischen Praxis und der Wissenschaft – Impulse, die uns dabei helfen, das Studienangebot aktuell zu halten und am Puls der Zeit zu bleiben.
"Man kann auch als Lehrender sehr viel lernen"Veit Kohnhauser über seine Lehrtätigkeit am Logistikum
Welche Beispiele für Innovationen aus der heimischen Branche fallen Ihnen spontan ein?
Da gibt es viele Beispiele. Das sind etwa selbst fahrende Flurförderzeuge, wie sie zum Beispiel von der Firma Agilox angeboten werden, oder Autostore-Anwendungen, wie sie zum Beispiel bei der Post in den Verteilzentren im Einsatz sind. Mit fällt dazu aber auch der Einsatz von sogenannten Supercaps im Lager von Spar ein. Das sind im Wesentlichen Kondensatoren, die Batterien in den Flurförderfahrzeugen ersetzen können und sehr schnell geladen werden – Energie aber auch schnell wieder abgeben können. Wenn ich häufig, sehr kurze Strecken fahre, kann ich mit diesen Fahrzeugen sehr viele Ladezyklen machen. Über solche Technologien kann ich Flurförderfahrzeuge mit Energie versorgen, ohne dass ich lange Ladezeiten und damit Stillstands-Zeiten habe. Es gibt auch sehr viel Innovation im Bereich Robotik, wenn es darum geht, wie greife ich gewisse Pakete, die schwer zu handeln sind. Es gibt zum Beispiel Hängetaschenlösungen der Firma Knapp, die sehr intelligent die Frage lösen, wie ich diese Taschen auf und wieder zu mache. Diese Liste könnte man beliebig lange fortsetzen. Es ist sehr viel Innovation in der Branche vorhanden. An der Fachhochschule Steyr diskutieren wir mit unseren Studierenden, wie reif die Technologie wirklich ist und wo die richtigen Use Cases zu finden sind. Wenn ich die identifiziert habe, besprechen wir, wie die Technologie in geeigneter Art und Weise im Unternehmen eingeführt werden kann, sodass sie zu den Prozessen passt und die Mitarbeiter gut damit umgehen können. Da gibt es viele Fragestellungen, die auch für uns spannend und relevant sind. Auch das Thema Software darf man nicht außer Acht lassen – es gibt in diesem Bereich viel zum Thema Automatisierung. Ob das RPA - Robotic Process Automation ist, also kleine Softwareroboter, die zum Beispiel lästige Routinearbeiten in der Disposition übernehmen oder auch verschiedenste Plattformen von Kunden oder Lieferanten mit Informationen befüllen. Hier nimmt die Dynamik nach wie vor zu – aber auch die Geschwindigkeit, mit der neue Lösungen auf den Markt kommen.
Welche Fragestellungen sind wichtig, wenn es um die Einführung neuer Technologien in Unternehmen geht?
Zum Beispiel: Welche Voraussetzungen müssen Unternehmen erfüllen, um diese Technologie einzuführen? Was sind die Vor- und Nachteile, was sind vielleicht auch die Grenzen solcher Technologien? Was muss ich neben der Technik noch alles berücksichtigen? Wenn wir an Künstliche Intelligenz und ähnliche Dinge denken, gibt es viele Fragestellungen, die gar nicht unmittelbar mit der Technik zu tun haben, zum Beispiel: Ist das rechtlich so überhaupt machbar, bis hin zu ethischen Fragestellungen. Werden hier bestimmte Personengruppen bevorzugt? Werden andere diskriminiert? Wir beschäftigen uns also mit den Fragestellungen des Transfers der Technologie in die Praxis. Das ist unser Fokus.
Der ethische Aspekt wurde mit dem Lieferkettengesetz jetzt ja auch von der EU stark forciert.
Ja. Firmen sind mittlerweile allerdings auch selbst durchaus bemüht, dafür zu sorgen, dass Lieferketten auch nach ethischen Gesichtspunkten geplant und gesteuert werden. Auch hier spielt Technologie eine große Rolle. Denn wie finde ich denn heraus, wer wo in meinem liefernden Netzwerk welche Schritte der Fertigung zu welchen Konditionen macht und wie die Menschen dort arbeiten? Technologien können die nötige Transparenz in meine Lieferketten bringen. Jeder kennt seine First-Tier-Lieferanten, denn mit denen haben sie ihre Verträge. Wer dann dahinter in weiterer Folge tätig ist, ist weitestgehend intransparent – und hier spielen sehr wohl auch ethische Fragestellungen eine Rolle.
Das Gesetz ist daher doch recht sinnvoll, oder?
Ich glaube über die Zielrichtung sind sich alle einig, da wird auch nicht darüber diskutiert. Ich habe zumindest noch niemanden getroffen der gesagt hätte, Kinderarbeit oder Zwangsarbeit wäre in Ordnung. Ich glaube man unterschätzt vielleicht mitunter die Komplexität und die Dimension der Anforderungen, das in der Praxis in den Unternehmen umzusetzen. Wir haben Analysen mit anderen Forschungseinrichtungen gemacht, die zeigen, dass das Small-World-Konzept auch in der Logistik gilt. Das heißt, dass man über wenig Kontakte eine Kette von einer Person zur anderen herstellen kann – weltweit. Dafür braucht es fünf oder sechs Zwischenstationen, um über persönliche Kontakte sozusagen eine Kette herstellen zu können. In der Wirtschaft ist es nicht unähnlich: Sie können über drei bis fünf Lieferbeziehungen fast überall eine Verbindung zwischen einem Hersteller, einen OEM und einem Lieferanten herstellen. Wenn der zum Beispiel im Gebiet der Uiguren sitzt, weiß ich, dass ich ein gewisses Risiko der Zwangsarbeit habe. Wenn der aus Zentralafrika ist, habe ich ein gewisses Risiko der Kinderarbeit. Diese Wirtschaftsbeziehungen transparent zu machen ist aber sehr herausfordernd für viele. Wir haben vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht, dass man Regionen oder Länder, die sehr gute regulatorische Rahmenbedingungen haben, anders behandeln könnte als solche Länder, die keine oder wenige Standards haben. Hier könnten unabhängige Zertifizierungsstellen ins Spiel kommen. Aber man muss schon auch sagen: Auch wir als Konsumenten sind nicht aus der Pflicht zu nehmen - wir fühlen uns in gewisser Hinsicht ja auch wohl mit einer solchen Intransparenz. Man könnte sagen: Die Unternehmen haben viel Geld investiert, in globale Lieferketten, mit kleinsten Fertigungsstufen in unterschiedlichen Ländern, wobei die Produkte mitunter mehrmals um die Welt reisen, bevor sie schlussendlich beim Hersteller ankommen. Natürlich haben wir dann keine Transparenz mehr.
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"Wenn wir an Künstliche Intelligenz und ähnliche Dinge denken, gibt es viele Fragestellungen, die gar nicht unmittelbar mit der Technik zu tun haben - bis hin zu ethischen Fragestellungen."Veit Kohnhauser
Kommen wir zur Arbeit in der Logistik. Welche Fähigkeiten werden in Zukunft wichtig sein, um in der Logistik zu arbeiten?
Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass man gewisse Fachkenntnisse brauchen wird. Man muss sowohl die Logistikprozesse verstehen als auch die Systeme und die Technologien. Das ist, denke ich, die Basis für Vieles. Auch die Organisationsfähigkeit, die Fähigkeit, in interdisziplinären Teams zu arbeiten und auch die Kommunikationsfähigkeit - also alles was Social Skills betrifft – werden auch weiterhin sehr wichtig sein. Es gibt aber ein Thema, das auch Richtung Zukunft immer wichtiger wird - zumindest sehen wir das an den Hochschulen recht deutlich – nämlich Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Und sich auch Gedanken darüber zu machen, was die Auswirkungen meines Tun und Handelns sind. Welchen Beitrag leiste ich – nicht nur für das Unternehmen, sondern vielleicht auch darüber hinaus für die Gesellschaft oder für bestimmte Gruppen von Menschen. Das merkt man auch bei den Studierenden ganz klar: Die Frage der Sinnvermittlung ist mittlerweile allgegenwärtig, auch bei der Suche nach einem Arbeitgeber. Ich hatte letztens ein Gespräch mit einer jungen Dame, die ein Unternehmen verlässt, weil dort regelmäßig Sondertransporte stattfinden, die für die Mitarbeiterin selbst sehr stressig sind, sehr viel Geld kosten und über Flugfracht abgewickelt werden. Das möchte sie – sinngemäß – nicht mehr mittragen und sucht deshalb nach einem anderen Arbeitgeber.
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Sie haben die Social Skills angesprochen. Waren die nicht immer schon wichtig?
Natürlich. Aber hier haben sich die Dimensionen verändert. Früher waren Entscheidungen im Supply Chain Management sehr kostengetrieben – also eher eindimensional. Jetzt gibt es so viele Dimensionen und Herausforderungen in der Lieferkette, weshalb die Beziehungen zu Lieferanten und Kommunikation überhaupt sehr wichtig geworden sind. Außerdem sind heutzutage eine Menge an Informationen verfügbar. Aber welche Quellen kann ich heranziehen? Ich kann Chat-GPT jede Frage stellen – aber wie gehe ich mit der Antwort um? Ist sie richtig? Auf welche Quellen greift sie zurück? Ist die Antwort für meinen Anwendungsfall relevant? Die Fähigkeit, Informationen nicht nur zu finden, sondern auch zu bewerten und schlussendlich in Entscheidungen zu überführen, die man im Unternehmen treffen muss, hat enorm an Bedeutung gewonnen. Auch die Reflexionsfähigkeit und die Fähigkeit, Dinge oder Trends zu hinterfragen, werden immer wichtiger. Das kann ich nicht durch Fachbücher vermitteln, denn bevor das geschrieben ist, ist das Thema wieder davon galoppiert. Wir müssen Studierenden also Fähigkeiten beibringen, die eben genau darauf abzielen, mit solchen Aufgabenstellungen und Situationen umzugehen. Wie komme ich zu Inhalten, wie kann ich mir die erarbeiten und wie treffe ich Entscheidungen? Das sind Fähigkeiten, die in Zukunft extrem wichtig werden – vermutlich nicht nur in der Logistik.
Wie hebt sich Ihr Studiengang von anderen ab?
Der Studiengang ist ein technisches Masterprogramm, wir sind genau an der Schnittstelle zwischen Logistikmanagement und -technologie. Es gibt Studiengänge und Institute für technische Logistik, zum Beispiel an der TU Graz, dort entwickeln sie Logistiktechnologien. Es gibt auch relativ viele Studiengänge, die sich auf der wirtschaftlichen Ebene mit den strategischen Fragestellungen des Supply Chain Managements und der Liefernetzwerke beschäftigen. Wir sind fokussiert auf Menschen, die in den Unternehmen mit der Aufgabe konfrontiert sind, Logistikprojekte an der Schnittstelle zwischen Technik und Logistik umzusetzen. Wir versuchen sie in die Lage zu versetzen, dass sie einerseits die Anforderungen und Prozesse verstehen und optimieren können, andererseits die Technologien einschätzen können, um die richtigen Anwendungen in die Wirkung bringen zu können. Das macht den Studiengang für viele attraktiv, denn ich sehe viele Menschen, die zum Teil schon lange in der Logistik sind und merken, dass ununterbrochen irgendein neues Thema aufscheint – sei es Blockchain, KI, Machine Learning oder Robotik. Wo fange ich an, wo höre ich auf? Wenn ich eine Technologie einsetze – wer ist der richtige Anbieter, wie finde ich den? Ich denke es herrscht großer Bedarf an Menschen, die solche Einschätzungen treffen können. Und das ist mir an unserem Ausbildungskonzept sehr wichtig: Dass es anwendungsbasiert und praxisnah ist. Und trotzdem es ein technischer Studiengang ist, sind wir bei der Geschlechterverteilung ziemlich ausgeglichen.
Wie steht das Logistikum im internationalen Vergleich da?
Wir sind europaweit eine der größten Hochschulen zum Thema Logistik und Supply Chain Management. Wir haben knapp 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an der FH Oberösterreich in der Lehre und in der Forschung zum Thema Logistik und Supply Chain Management tätig sind. Unser Masterprogramm gehört nach dem CHE-Ranking zum besten Logistik-Masterstudium im deutschsprachigen Raum.
Zur Person Veit Kohnhauser
Veit Kohnhauser ist Studiengangsleiter für Logistik Engineering und Management am Logistikum an der FH Oberösterreich, Vorstandsmitglied des Supply Chain Intelligence Institut Austria ASCII und Geschäftsführer des VNL Österreich.
Kohnhauser hat Wirtschaftsingenieur-Maschinenbau an der TU-Wien studiert und promovierte am Institut für Managementwissenschaften. Er verfügt über mehr als zwölf Jahre internationale Managementerfahrung in der Automobilindustrie im Bereich Entwicklung und Umsetzung von Produktionssystemen mit speziellem Fokus auf Kosteneffizienz, Flexibilität, Qualität und Termintreue. Kohnhauser leitete mehrere Jahre die Abteilung Logistik und IT im englischen BMW-Motorenwerk nahe Birmingham bevor er die Leitung der Abteilung für Produktionsstrategie inklusive weltweiter Werksstrukturplanung, Technologie- und Investitionssteuerung für alle Antriebssysteme der BMW-Group übernahm. Darüber hinaus war er viele Jahre als Consulting und Coach für die Automobilindustrie mit Schwerpunkt auf chinesische Motoren-Produzenten tätig. Seit 2012 forscht und lehrt er an Fachhochschulen und treibt Forschungsprojekte im Bereich der industriellen Digitalisierung (Industrie4.0) und der Digitalisierung im Supply Chain Management voran, seit 2022 hat er die Professur für Logistik und Supply Chain Management an der FH Oberösterreich inne.