Trends : Zukunft der Logistik: Nichts bleibt so, wie es mal war
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Die Welt erlebt derzeit fundamentale geopolitische Veränderungen. Dazu kommen Klimawandel, Fachkräftemangel, beeinträchtigte Logistikketten und volkswirtschaftliche Neuordnungen, die auf die Logistik der Zukunft massive Auswirkungen haben. Um dauerhaft wirtschaften zu können, sind Logistiker und produzierende Unternehmen darauf angewiesen, neue Lösungen für die gegenwärtigen wirtschaftlichen Herausforderungen zu nutzen. 30 Tankcontainer mit Gefahrgut nach Graz oder ein Päckchen mit eiligen Maschinen-Ersatzteilen nach Hamburg: Die Aufgaben, die Spediteure bewältigen und die Erwartungen von deren Kunden sind vielfältig und erfordern nicht nur ein hohes Maß an Flexibilität, sondern neben einem breiten Partnernetzwerk Branchenkenntnis, um die Herausforderungen der Zukunft angemessen zu lösen. Faktum ist: So wie bisher Logistik funktionierte, wird sie künftig nicht mehr funktionieren, denn es gibt zu viele Einflüsse, die künftig die Welt der Logistik dominieren werden, darin sind sich Experten einschlägiger Institutionen, Branchenverbände und logistikaffiner Unternehmen einig. Was die Zukunft der Logistik bestimmt sind Künstliche Intelligenz (KI), innovative Technologien, Multichannel-Logistik, digitale Vernetzung von Transportketten und nicht zuletzt der Strukturwandel in der globalen Logistik.
Roboter arbeitet mit dem Menschen
So sind modernste Lager-Roboter schon heute so feinfühlig, dass sie im Logistik-Zentrum direkt neben menschlichen Mitarbeitern agieren können ohne deren Sicherheit zu gefährden. Beim Be- und Entladen von Lkw werden in Zukunft Roboter zu entscheidenden Faktoren in der Supply Chain werden. Selbstfahrende Lieferfahrzeuge können 24 Stunden lang selbst bei schlechten Wetterbedingungen fahren, ohne sich an Ruhezeiten für die Lkw-Fahrer halten zu müssen und können zudem durch eine automatisierte Fahrweise Sprit sparen. Selbstfahrende Gabelstapler können schweren Arbeiten in Lagerhäusern übernehmen. Noch viele solche Beispiele mehr könnte man aufzählen. Noch aber sind die Technologien nicht genug ausgereift ebenso wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen für autonom fahrende Lkw. Vor der Zukunft braucht man sich aber nicht zu fürchten, sie birgt Chancen. So sieht es Franz Staberhofer, Obmann des Vereins Netzwerk Logistik vom größten Wirtschaftsnetzwerk im Bereich Logistik in Österreich. Seit der Jahrtausendwende habe die Logistik viele Krisen bewältigt von der Finanz- und Eurokrise über den Brexit, Corona-Pandemie bis zum Chipmangel. „Die Logistik hat in allen Phasen die Versorgungssicherheit aufrechterhalten und Chaos vermieden. Jetzt geht es darum zukünftiges Chaos zu vermeiden. Hier hat die Logistik die Pflicht und Chance, sich mit Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft zu verlinken, um rechtzeitig auf drohende Lieferkettenprobleme reagieren zu können“, bringt es Staberhofer gegenüber dispo auf den Punkt. Der so oft beklagte Arbeitskräftemangel werde den Bedarf an automatisierten Logistik-Lösungen weiter verstärken. Man müsse Arbeit dort, wo es möglich ist, durch Automatisierung aus dem System nehmen. Und man müsse sich überlegen, wo man arbeitsintensive Lieferketten eliminieren kann. „Dabei werden neue Geschäftsmodelle entstehen“, ist Staberhofer überzeugt. Die Möglichkeiten der KI sind heute vielfach erst im Ansatz erkennbar, angesichts des Arbeitskräftemangels wird der Einsatz von KI aber unabdingbar sein und weiter an Bedeutung gewinnen. Er sieht auch, dass in Zukunft die notwendigen Arbeitskräfte für die geplanten Umsatzsteigerungen der Unternehmen nicht vorhanden sein werden. Dementsprechend müssen Wertschöpfungsketten neu gestaltet werden, werden einzelne Elemente von Produktionen beispielsweise in Regionen verlagert, in denen ausreichend Arbeitskräfte vorhanden sind.
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Logistikketten müssen resilienter werden
„Wir erleben derzeit eine Re-Globalisierung durch geopolitische Veränderungen, in der Lieferketten neu geknüpft und resilienter gemacht werden. Gleichzeitig beginnt der Weg zur Klimaneutralität mit konkreten Maßnahmen, sodass wir in einigen Jahren gänzlich andere, weitgehend emissionsbefreite Services erleben werden“, beobachtet Thomas Wimmer, Vorstandsvorsitzender der deutschen Bundesvereinigung Logistik (BVL). Die Logistik ist von diesem Wandel massiv betroffen: „Händler werden zu Logistikern, Reeder erweitern ihr Portfolio mit Speditions- und Luftfracht-Dienstleistungen. Wie nachhaltig diese Entwicklungen sind, bleibt freilich abzuwarten“, gibt sich Wimmer gegenüber dispo zurückhaltend. Bei der Automatisierung in der Intralogistik, beim Tracking, bei der Lieferkettentransparenz oder Emissionsmessung und -optimierung werde die Evolution der vergangenen Jahre voranschreiten. Wimmer: „Autonomes Lkw-Fahren im Straßengüterverkehr werden wir erst in einigen Jahren sehen und dann wohl auch nur auf wenigen Strecken“. KI und Digitalisierung werden aber viel stärker helfen, Ladekapazitäten unternehmensübergreifend intelligenter zu nutzen, Leerfahrten zu reduzieren und Einsatzplanungen auch im Sinne der Lkw-Fahrer zu optimieren. Die Automatisierung war früher ein Schreckgespenst für Arbeitskräfte und Gewerkschaften, heute ist sie die akzeptierte und dringend benötigte Entlastung für viele Unternehmen. Wimmer: „Wir sehen jetzt einen Wandel bei den Anforderungen: IT-Spezialisten sind genauso gefragt wie Stapler- und Lkw-Fahrer. Der Trend zu immer höher qualifizierten Berufen wird in jedem Fall anhalten“.
Logistik-Branche setzt auf Dekarbonisierung
„Die Zukunft der Logistik sieht umweltfreundlicher, grüner und digitaler aus. Der Spediteur als Architekt des Transports wird die entscheidende Rolle zum Erreichen der Green-Deal-Ziele einnehmen“, betont Oliver Wagner, Geschäftsführer des österreichischen Zentralverbandes Spedition & Logistik. Der fahrerlose Lkw habe längerfristig das Potenzial den Lkw-Fahrermangel zu beseitigen und noch mehr Automation beispielsweise im Lagerbereich wird helfen die Prozesse zu optimieren. Spediteure seien es gewohnt mit Mangelsituationen umzugehen und das Thema Arbeitskräftemangel begleitet die heimische Logistik-Branche schon jetzt und wird auch in Zukunft eine zentrales Thema bleiben, schätzt Wagner.
Der Zentralverband als Interessensvertretung der heimischen Speditions- und Logistikbranche engagiert sich forschungsseitig aktuell bei der Dekarbonisierung der eigenen Branche. Wagner: „In unserem sehr aktiven und innovativen Ressort Green Logistics werden Zukunftsthemen intensiv behandelt und fließen unsere Inputs in sinnvolle Förderrichtlinien für das Dekarbonisieren der Logistik ein“.
In Zukunft wird Logistik ein viel wichtigere Rolle spielen als heute und das, weil die Verwerfungen bei den Lieferketten in der jüngeren Vergangenheit gezeigt haben wie wichtig logistische Expertise ist, weiß Christoph Ecker, Gruppenleiter Digitale Logistik und Automatisierung bei Fraunhofer Austria Research. Fehlende Arbeitskräfte werden den technologischen Wandel hin zur Automatisierung von Logistikprozessen erzwingen. Gleichzeitig nehmen Forderungen nach Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz in Logistik und Transport zu. Ecker: „Alle diese Herausforderungen machen die Logistik der Zukunft sehr komplex“. Für Fraunhofer Austria als angewandte Forschungseinrichtung bedeuten diese Herausforderungen ein äußerst spannendes und zukunftsweisendes Forschungsfeld. Die aktuellen Entwicklungen rund um ChatGPT im außerbetrieblichen Kontext zeigen die großen Potenziale der KI auch für die Logistik. Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen forschen daher verstärkt am Thema KI. „Ich denke aber, dass der aktuelle Stand der Technik noch nicht ausreichend ausgereift ist für die Komplexität von Logistikprozessen. Fehlende Trainingsdaten sind hier eine der größten Herausforderungen. Dieser Reifegrad kann sich aber schlagartig bei zukünftigen Entwicklungsschritten ändern“, so Ecker gegenüber dispo.
Roboter ersetzt Menschenhand
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken wird sich der Trend zur Robotik und Automatisierung in der Logistik beispielsweise mit fahrerlosen Transportsystemen (FTS) verstärken. Es wird aber auch in Zukunft operative Tätigkeiten geben, die manuell durchgeführt werden. Hier gilt es diese Tätigkeiten durch geeignete Unterstützungswerkzeuge und Entscheidungshilfen zu optimieren. Dabei wird KI eine wichtige Rolle spielen. Fraunhofer entwickelt derzeit einen KI-Algorithmus, der erstmals neben Kriterien der Effizienz auch die Ergonomie und Gesundheitsprävention in die Auftragsallokation von Kommissionierenden integriert. „Ergänzend entwickeln wir ein Assistenzsystem für die optimale Schlichtung von Gütern im Kommissionierprozess. Durch diese Projekte soll die körperliche und kognitive Beanspruchung in der Kommissionierung reduziert werden und somit dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden“, so Ecker.
Fraunhofer ist auch beim FFG-Projekt „Öffi-Packerl“ involviert, bei dem es darum geht einen Prototyp zur nachhaltigen und umweltfreundlichen Zustellung von Paketsendungen auf der letzten Meile mittels öffentlicher Verkehrsmittel zu entwickeln. Auch die deutsche BVL ist in zukunftsweisende Logistik-F&-E-Projekte involviert. Gemeinsam mit GS 1 Germany hat die BVL mit dem sogenannten „Cloud4Log“ einen digitalen Lieferschein entwickelt und zahlreiche deutsche Unternehmen sind gerade dabei ihn ihre Logistik-Prozesse zu integrieren. Wie künftig die Logistik auf der letzten Meile aussehen könnte, zeigt derzeit das steirische Start-up ARTI mit seinem Versuchsfahrzeug TRAI. Das ist ein intelligentes Roboter-Transportfahrzeug, das sich im urbanen Bereich völlig autonom bewegt, Hindernisse erkennt, sei umfährt und so das Paket zur Haustür des Empfängers bringt.
„In der Logistik ist nichts Zukunftsmusik, sie ist ein Treiber für Industrie 4.0“, so Stefan Eichlseder, Geschäftsführer von Bluhm Systeme in Österreich gegenüber dispo. Roboter sind schon heute, morgen werden es wahrscheinlich Lieferroboter und Drohnen sein, die die Logistik dominieren. „Anhand der Produkt-Labels, die unsere Systeme aufbringen, werden Kollege Roboter und KI immer mehr Aufgaben übernehmen bei der Planung interner und externer Logistik-Prozesse“, sagt der Manager. Bluhm-Systeme hat das 3D-Etikettierportal Legi-Flex 6100 SLAM entwickelt, das ohne Produktausrichtung bis zu 60 Kilogramm schwere Pakete pro Minute etikettieren kann. Möglich wird das durch eine dreidimensionale Bewegung entlang der X, Y und Z-Achse und einer Kamera.
Radikal innovieren heißt in die Zukunft denken
Gerade in der Logistik stellt sich die Frage, ob herkömmliche Innovationen noch ausreichen, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden.
Optimieren als Innovation reicht längst nicht mehr aus, es braucht ein Denken aus der Zukunft heraus, lautet der Appell von Markus Peschl von der Universität Wien. Er ist Universitätsprofessor und lehrt Innovationsforschung mit Schwerpunkt radikale Innovation und Kognitionswissenschaften an der Uni Wien. Alles was automatisierbar ist wird in Zukunft auch automatisiert werden. Das liegt auf der Hand und ist wirtschaftlich gesehen verständlich. Peschls wissenschaftlicher Fokus ist die radikale Innovation. Eine radikale Innovation ist eine Form von Innovation, die Dinge an der Wurzel verändert. Radikale Innovation steht im Gegensatz zur inkrementellen Innovation. In diesem Fall werden Prozesse, Produkte oder eine Dienstleistung lediglich optimiert. Die Sache an sich bleibt die gleiche, es wird lediglich verbessert oder optimiert. Inkrementelle Innovationen sind wichtig, haben aber einen entscheidenden Nachteil: Sie verändern nichts fundamental. Bei der radikalen Innovation hingegen muss man an der Wurzel ansetzen. In der Logistik geht es darum die Themen Internet der Dinge, 3D-Druck, KI, Robotik, Automation und physischen Transport gemeinsam denken. Peschl: „Radikal innovieren heißt also die Prämissen verstehen und verändern, auf denen das Geschäftsmodell beruht. Und daraus die Frage ableiten: Was passiert, wenn ich das Geschäftsmodell verändere.“ Radikal verändern birgt natürlich ein hohes Risiko in sich, weil sich nicht voraussagen lässt, wie erfolgreich ein (radikal verändertes) Produkt oder Dienstleistung sein wird. Radikal innovieren heißt aber auch in einem Öko-System zu denken. Zum Beispiel: Ein Logistikdienstleister und ist ein kleines Glied in der Kette. Wenn er etwas verändert, kann er Schiffbruch erleiden weil andere nichts verändern. 3D-Druck und Internet der Dinge gibt es bereits, doch so wirklich genau lässt sich nicht sagen wohin diese Technologie führt. Peschl: „In dieses Unbekannte muss ich hineininnovieren. Es geht um Potenziale ausloten und verstehen. Ich muss lernen, aus der Zukunft heraus zu lernen.“ In die Zukunft denken heißt, Dinge erkennen, obwohl sie noch nicht klar sichtbar sind.